Rede des LWB-Präsidenten Munib Younan auf Ratstagung 2014
(LWI) – Der Präsident des Lutherischen Weltbundes (LWB), Bischof Dr. Munib A. Younan, hat die weltweite lutherische Gemeinschaft aufgerufen, sich weiterhin für eine sichtbare Gerechtigkeit einzusetzen, die ein Leben in Fülle für alle Menschen fördert.
In seiner Ansprache während der LWB-Ratstagung 2014, die vom 12. bis 17. Juni in Medan (Indonesien) stattfindet, wies Younan darauf hin, dass greifbarer Glaube aus den Sakramenten der Taufe und des Abendmahls sowie aus der Antwort der Kirche auf die Not der Armen und Verwundbaren erwächst.
Mit Bezug auf das Thema der Ratstagung – „Wie ein Baum, an Wasserbächen gepflanzt“ (Psalm 1,3) – sagte Younan, der auch Bischof der Evangelisch-Lutherische Kirche in Jordanien und im Heiligen Land (ELKJHL) ist, die Welt dürste nach Gerechtigkeit.
„Unsere Welt verzehrt sich nach frischen Wasserbächen, die Ungleichheit in Gleichberechtigung, Ungerechtigkeit in Gerechtigkeit, ausbeutende Wirtschaftssysteme in Wirtschaftssysteme der Chancengleichheit verwandeln. Die Kirche kann nur dann prophetisch sein, wenn sie die Stimme der Armen ist, die Stimme derjenigen, die unter Ungerechtigkeit und Besatzung leiden, die Stimme der Unterdrückten, der Verfolgten und der Vertriebenen“, erklärte Younan.
Der LWB-Präsident erinnerte den Rat daran, dass das Thema der Ratstagung aus Psalm 1 nicht nur auf die Notwendigkeit theologischer Erneuerung verweise. Es fordere auch, dass die Kirche sich mit Fragen der Gerechtigkeit beschäftige, insbesondere heute, wo Wasser „zu einem Symbol für Ungerechtigkeit und Ungleichheit geworden” sei.
„Viele von uns haben die Erfahrung gemacht, dass Wasserbäche von Mächtigeren umgeleitet wurden, so dass die Bäume weiter flussabwärts nicht mehr in gleicher Weise von dem Wasser profitieren konnten. Viele von uns leben an Orten, in denen Wasserströme durch Chemikalien, Algen oder Atommüll verseucht sind“, so Younan weiter.
Umweltgerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung
Mit Blick auf das 500-jährige Jubiläum der lutherischen Reformation im Jahr 2017, bei dem die Botschaft im Zentrum stehen wird, dass „wir durch Gottes Gnade befreit sind“, erklärte Younan, die Freiheit in Christus binde Lutheranerinnen und Lutheraner im Dienst an ihre Nächsten.
Die Arbeit des LWB für wirtschaftliche Gerechtigkeit sollte nicht von dem immer lauter werdenden Ruf nach ökologischer Nachhaltigkeit getrennt werden, sagte Younan. Der Auftrag zur Bewahrung der Schöpfung sei bereits im Glaubensbekenntnis von Nizäa-Konstantinopel und im apostolischen Glaubensbekenntnis festgeschrieben.
„Die Schöpfung ist Gottes Werk und die Menschen sollen sie bewahren. Wir sollen für Gottes schönen Garten Sorge tragen. Manchmal aber können wir uns mit theologischer Sprache ablenken. Es ist an der Zeit, dass die Kirche einfach und deutlich über den klar erkennbaren Klimawandel und die damit verbundene Krise spricht“, betonte der Bischof.
Die Kirchen müssten mit einer Stimme ihrer Sorge über den Klimawandel Ausdruck verleihen. Wenn die Umweltkrise die Risiken für gewaltsame Konflike, Armut und Konjunkturschwankungen dramatisch erhöht, sind vor allem die Menschen am Rande der Gesellschaften weltweit bedroht, so Younan.
„Wenn wir wie Bäume an lebendigen Wasserbächen sind, müssen wir unser Möglichstes tun, um ein Klima zu erhalten, in dem diese Bäche fliessen können“, drängte der LWB-Präsident. „Wir sind berufen, fest verwurzelt zu sein, um Gottes Gebot Folge leisten zu können, dem Gebot, den Armen zu dienen und den Schwächsten Schutz zu bieten.“
Beziehungen zwischen ChristInnen und MuslimInnen
Während der LWB-Präsident die wachsenden Probleme in den Beziehungen zwischen christlichen und muslimischen Gemeinschaften hervorhob, insbesondere in mehrheitlich muslimischen Gesellschaften, lehnte er gleichzeitig ab, diese auf theologische Meinungsverschiedenheiten zwischen den beiden Glaubensgemeinschaften zurückzuführen. Solche Spannungen müssten im Kontext der wachsenden internationalen und wirtschaftlichen Machtkämpfe gesehen werden, so Younan. Er rief die LWB-Mitgliedskirchen auf, diese Konflikte in ihrem jeweiligen Kontext anzusprechen und sich ihrer anzunehmen.
Die überwiegende Mehrheit der muslimischen Gläubigen seien keine Islamistinnen und Islamisten und es gibt viele Orte, an denen muslimische und christliche Gläubige friedlichen zusammenlebten, erklärte Younan. Christinnen und Christen, die friedlich Seite an Seite mit muslimischen Gläubigen leben, müssten über diese guten Beziehungen berichten. Christinnen und Christen seien aufgerufen, unter Musliminnen und Muslimen Zeugnis für ihre Glauben abzulegen, nicht aber zu missionieren.
„Unser Zeugnis, das wir in Treue zu Christus ablegen, ist ein Zeugnis der Gastfreundschaft und der Offenheit, nicht ein Zeugnis der Ausgrenzung und des Streit. Unsere Anwesenheit an sich ist ein Zeugnis für das Evangelium der Liebe Christi.“
Bildung als Auftrag des Evangeliums
Younan erklärte, der Angriff auf das pakistanische Schulmädchen Malala Yousafzai mit Schusswaffen im Jahr 2012 und die jüngste Entführung von mehr als 200 Mädchen in Nigeria durch die extremistische Boko Haram-Gruppierung hätten das Engagement des LWB für Bildung als einen Auftrag des Evangeliums neu entfacht.
„Es ist von entscheidender Bedeutung, dass unsere Kirchengemeinschaft die verwandelnde Kraft von Bildung in ihren jeweils eigenen Kontexten erkennt und fördert. Diese Schwerpunktsetzung auf Bildung umfasst auch Klimawandel und das Leben in und zwischen muslimischen und christlichen Gesellschaften.“
„Extremisten wollen keine Bildung. Sie wollen, dass die Menschen blind glauben und sich nicht kritisch mit den Dingen auseinandersetzen. Je gebildeter eine Person ist, je mehr eine Person lesen kann, desto mehr wird sie oder er feststellen, dass sie oder er klein ist und dass es höhere Mächte in der Welt gibt.“
Younan sprach die Schwierigkeiten an, mit denen die Region Asien, wo die Ratstagung stattfindet, in den vergangenen Monat konfrontiert war – das verschwundene Flugzeug der Malaysia Airlines, das Fährunglück in Korea, das Lawinenunglück in Nepal, der Erdrutsch in Afghanistan und vieles mehr. „Hier kann man reiche und wohlhabende Länder finden in direkter Nachbarschaft zu Ländern, die nicht einmal für die Bedürfnisse der eigenen Bevölkerung angemessen aufkommen können. Es gibt hier viele Länder, die von multinationalen und transnationalen Konzernen ausgebeutet werden“, so Younan weiter. Aber der LWB-Präsident betonte: „Uns kann es nicht gut gehen, solange es nicht allen Menschen gut geht – Männern und Frauen, Nord und Süd, Ost und West, Alt und Jung, Arm und Reich.“
Lesen Sie die Rede des Präsidenten an den LWB-Rat im vollständigen Wortlaut (in englischer Sprache)