LWB setzt sich ein gegen Frühehen und häusliche Gewalt
Adjumani (Uganda)/Genf, 29. November 2016 (LWI) – „Bei den Eheverhandlungen hat mich niemand gefragt. Den Mann, den ich heiraten sollte, kannte ich nur von Familienfeiern. Ich dachte, er sei einer dieser entfernten Verwandten, mit denen wir, über einen Gruß hinaus, nicht weiter sprachen“, erinnert sich Alwel Violet (26) an die ersten Begegnungen mit ihrem zukünftigen Ehemann. Damals war sie acht.
Violet wusste nicht, dass ihre Familie für sie einen Brautpreis gezahlt hatte und der Handel damit besiegelt war. Ihre Freundinnen gingen zur Schule, spielten mit Puppen, trieben Sport oder machten in der Theatergruppe mit, ihr sagte man, dass sie bald heiraten werde. Andere Eltern erwarteten von ihren Kindern eine Mithilfe im Haushalt, ihre Eltern waren damit beschäftigt, die Ehe ihrer Tochter auszuhandeln. Mit acht Jahren wurde Violet an einen 24-Jährigen verheiratet.
Kinderehen wie diese sind in zentralafrikanischen Ländern nicht ungewöhnlich. Nach Schätzungen werden 52 Prozent der Frauen in Violets Heimatland Südsudan verheiratet, wenn sie zwischen 15 und 19 Jahren alt sind. Viele sind noch deutlich jünger – elf- oder zwölfjährige Mädchen, die gerade erst in die Pubertät kommen. Selbst Fälle wie ihrer, wo die Braut erst acht ist, kommen in Violets Ethnie immer wieder vor. Der Lutherische Weltbund (LWB) setzt sich gegen Kinderehen ein und unterstützt jene Frauen, die im Südsudan, in Kenia und Uganda so früh verheiratet wurden.
Nach der Hochzeit zog Violet mit ihrem Mann nach Kenia. Anders als viele Mädchen, die mit der Heirat die Schule verlassen müssen, konnte sie ihre Ausbildung fortsetzen. Aber von Violet wurde erwartet, ihren Pflichten als Ehefrau nachzukommen. Vor der Schule erledigte sie den kompletten Haushalt, nach der Schule kochte sie und versorgte ihren Mann. Mit 15, als sie das vierte Jahr der Sekundarschule besuchte, wurde sie schwanger. Ihr Mann kehrte mit ihr in sein Heimatdorf im Südsudan zurück, wo sie eine Tochter zur Welt brachte.
Gewalt durch die Schwäger
Als ihr Mann vor zwei Jahren starb, begann der Alptraum für Violet. „Seine Brüder gaben mir nicht einmal die Zeit, um meinen Mann zu trauern. Direkt nach der Bestattungsfeier entschieden sie, wer seine Familie – mich eingeschlossen – bekommen sollte.“
„Bei den Eheverhandlungen hat mich niemand gefragt. Den Mann, den ich heiraten sollte, kannte ich nur von Familienfeiern. Ich dachte, er sei einer dieser entfernten Verwandten.“ Alwel Violet über ihre Verheiratung im Alter von 8 Jahren
Dem örtlichen Brauch entsprechend geht eine Ehefrau, deren Mann nach Bezahlung des Brautpreises stirbt, samt ihren Kindern in den Besitz eines seiner Brüder über. In Violets Fall erhielt der älteste Bruder den Zuschlag. „Von diesem Moment an zwang er mich jede Nacht, mit ihm zu schlafen“, berichtet Violet. Später vergewaltigte sie nicht mehr nur ihr ältester Schwager, sondern alle fünf Brüder regelmäßig.
Als sie sich wehrte, betäubten sie Violet und missbrauchten sie, während sie bewusstlos war. „Ihrer Meinung nach war der Brautpreis bezahlt und sie hätten deswegen das Recht, das zu tun“, erklärt Violet. Schließlich tauchten ihre Schwäger nur noch auf, wenn sie Sex wollten. Sie versorgten weder Violet noch ihre Tochter mit Geld oder Lebensmitteln.
Sicherheit, psychologische Betreuung, neue Existenz
„Ich musste überleben“, erinnert sich Violet. „Ich musste mein Kind ernähren. Deshalb ging ich heimlich zu einem Freund und bat ihn um Hilfe. Er schlug mir vor, nach Uganda zu fliehen, um ihnen zu entkommen.“ Dieser Freund bezahlte ihr die Reise bis zur ugandischen Grenze. Im März 2014 wurde sie als Flüchtling registriert und in die nordugandische Flüchtlingssiedlung Adjumani gebracht.
Doch ihre Schwäger fanden sie. Eines Tages tauchten sie an Violets neuen Wohnort auf und versuchten, sie und ihre Tochter wieder mit in den Südsudan zu nehmen. Da beschloss sie, den LWB um Hilfe zu bitten, der das Aufnahmezentrum Njumani betreibt und, gemeinsam mit anderen Organisationen, im Flüchtlingslager Adjumani auch für die Sicherheit der Menschen sorgt.
„Ich bin in das Büro des LWB gegangen und habe die ganze Geschichte erzählt“, erinnert sie sich. Der Mitarbeiter versprach, zu helfen. Violet wurde eine Unterkunft in Boroli, einer anderen Siedlung innerhalb des Lagers, zugewiesen und sie konnte nun an vom LWB organisierten therapeutischen Angeboten teilnehmen. Als ihre Schwäger sie erneut fanden und attackierten, half ihr der LWB dabei, bei der ugandischen Polizei Anzeige zu erstatten. Seither hat sie Ruhe vor ihnen.
Hilfe bekommen, anderen helfen
Der LWB eröffnete ihr die Möglichkeit, einer dörflichen Spar- und Darlehenskasse beizutreten, so dass sie sich selbständig machen konnte. Drei Monate nach ihrer Ankunft in Uganda begann Violet gegen eine kleine finanzielle Entschädigung beim LWB als Beraterin im psychosozialen Bereich mitzuarbeiten und unterstützt jetzt selbst Frauen, die ein ähnliches Schicksal erlitten haben.
„Die Arbeit als Beraterin hat mich wirklich vorangebracht bei der Bewältigung meiner Erlebnisse“, stellt sie fest. „Mein Leben ist jetzt besser, ich bin glücklich verheiratet mit einem Mann, den ich liebe. Bald bekommt meine Tochter ein Geschwisterchen. Ich bin da, wo ich hingehöre, bin umgeben von Menschen, die mich lieben und das Beste für mich wünschen. Mit Worten kann ich gar nicht beschreiben, wie der LWB mir dabei geholfen hat, mein Leben wiederaufzubauen. Ich hoffe, dass ich meine Dankbarkeit mit der Arbeit zum Ausdruck bringen kann, die ich für andere Frauen leiste, die in der Situation sind, in der ich auch war.“
Ein Beitrag von Niona Agasha.