Anpassung an den Klimawandel im Gebiet um den Tschadsee

Überflutungen, Konflikte und der Klimawandel treffen die Menschen im Tschadbecken auf vielfache Weise. Der LWB arbeitet im Rahmen eines umfassenden Projektes an der Lösung dieser zahlreichen Probleme.

21 Jan. 2025
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Dorfbewohner in der Tschadsee-Region klären in einem Theaterstück über die Gefahren der Frühverheiratung auf. Foto: LWB/C. Kästner-Meyer

Dorfbewohner in der Tschadsee-Region klären in einem Theaterstück über die Gefahren der Frühverheiratung auf. Foto: LWB/C. Kästner-Meyer

Mehr Handlungsmacht für Frauen, stärkere Gemeinschaften 

(LWI) – Der Klimawandel trifft Gemeinschaften auf zahlreichen Ebenen. Projekte, die zur Verbesserung der Widerstandsfähigkeit gegen Katastrophen beitragen sollen, müssen deshalb auf ganzheitliche Problemlösungen setzen. Ein Projekt zur Anpassung an den Klimawandel, durchgeführt vom Lutherischen Weltbund (LWB) und kanadischen Partnern in der Region um den Tschadsee, verfolgt mit seinem Konzept nicht nur eine regionale Strategie für das Grenzgebiet zwischen Kamerun und Tschad, sondern bekämpft die Auswirkungen des Klimawandels auf zahlreichen Ebenen. Während eines Besuchs vor Ort im Dezember 2024 konnten sich Mitarbeitende des LWB davon überzeugen, wie die Arbeit des LWB die Widerstandsfähigkeit lokaler Gemeinschaften verbessert. 

Im Anflug auf die Hauptstadt des Tschad, N’Djamena, zeigen sich die enormen Zerstörungen infolge der Überschwemmungen in aller Deutlichkeit. Sechs Monate nach dem Rückzug der Fluten gibt es immer noch Häuser, die vom Wasser eingeschlossen sind. Umgestürzte Lichtmasten, deren Fundamente durch die Fluten weggespült wurden, sind entlang der wichtigsten Straßen als eindringliche Mahnung für das Ausmaß dieser Katastrophe zu sehen. 

Seit Juli 2024 werden Zentral- und Westafrika von schweren Überschwemmungen heimgesucht, verursacht durch pausenlosen Starkregen und Stürme. Die Region um den Tschadsee gehört zu den am stärksten betroffenen Gebieten. Nach Angaben der Vereinten Nationen sind 2,4 Millionen Menschen im Tschad und in Kamerun unmittelbar betroffen. Hunderte haben ihr Leben verloren. Das Wasser hat 274.000 Häuser zerstört und 160.000 Menschen vertrieben. Darüber hinaus haben die Überschwemmungen landwirtschaftliche Anbauflächen unbrauchbar gemacht und dafür gesorgt, dass mehr als drei Millionen Menschen im Tschad zu Beginn der Dürrezeit einer prekären Ernährungslage entgegensehen. 

Klimawandel verschärft Konflikte 

Im Tschadbecken greifen mehrere Krisensituationen ineinander. Steigende Temperaturen, Entwaldung und illegaler Holzeinschlag haben die Bodenerosion beschleunigt und Ökosysteme zerstört. Diese Umweltbelastungen, die durch häufige Dürren, Überflutungen und Angriffe extremistischer Gruppen wie Boko Haram zusätzlich verschärft werden, haben zur Vertreibung ganzer Dörfer geführt und vulnerable Gemeinschaften zurückgelassen. 

„Das Wasser hat alles mitgerissen, was an bescheidenen Einkommensmöglichkeiten für die Menschen noch verfügbar war: Ackerland und Nutzvieh“, sagt Anaïdjo Avada, Vorsitzender des Friedenskomitees in Logone-Birni, Kamerun. Beschädigte Straßen und Brücken schränken die Mobilität der Menschen ein und haben zur Folge, dass Familien nicht mehr zur Arbeit gelangen oder keinen Zugang zu lebenswichtigen Dienstleistungen haben. Es fehlt an Unterkünften für die vielen Vertriebenen, die nicht für ihren Lebensunterhalt sorgen können und infolgedessen knappe Ressourcen noch stärker beanspruchen. 

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Niederlassung von Menschen, die durch die Überschwemmungen im Sommer und Herbst 2024 vertrieben wurden, in der Präfektur Logone-Birni. Tausende leben immer noch in diesen provisorischen Grashäusern. Foto: LWB/C. Kästner-Meyer

Niederlassung von Menschen, die durch die Überschwemmungen im Sommer und Herbst 2024 vertrieben wurden, in der Präfektur Logone-Birni. Tausende leben immer noch in diesen provisorischen Grashäusern. Foto: LWB/C. Kästner-Meyer

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Eine Frau demonstriert die Herstellung eines Insektizids aus lokalen Neem-Bäumen. Foto: LWB/C. Kästner-Meyer

Eine Frau demonstriert die Herstellung eines Insektizids aus lokalen Neem-Bäumen. Foto: LWB/C. Kästner-Meyer

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Eine mit Unterstützung des LWB reparierte Brücke auf dem Weg zu einer Gemeinde in der Tschadsee-Region. Die Konstruktion leitet das Wasser unter der Straße hindurch, anstatt sie zu zerstören, und stellt so sicher, dass die Straße befahrbar bleibt. Foto: LWB/C. Kästner-Meyer

Eine mit Unterstützung des LWB reparierte Brücke auf dem Weg zu einer Gemeinde in der Tschadsee-Region. Die Konstruktion leitet das Wasser unter der Straße hindurch, anstatt sie zu zerstören, und stellt so sicher, dass die Straße befahrbar bleibt. Foto: LWB/C. Kästner-Meyer

Diese Situation verschärfe bereits bestehende Konflikte innerhalb der Gemeinschaften und häusliche Gewalt, so Avada. Nachbarn streiten über die noch vorhandene Ernte, über Fischereigründe und den Zugang zu fruchtbarem Land, Ehepaare streiten darüber, wie sie über die Runden kommen sollen. „Es kommt immer öfter zu Überschwemmungen, und damit nehmen auch die Konflikte zu.“ 

Ein umfassender Handlungsansatz 

Das über drei Jahre laufende Projekt des LWB geht diese Probleme mit einer ganzheitlichen Strategie an und kombiniert fünf Lösungen miteinander, die uns die Natur vorgibt – konservative Landwirtschaft, klimasensitive Lebensgrundlagen, Wasserwirtschaft, Wiederaufforstung und unterstützte natürliche Regenerierung und nachhaltige Fischerei, ergänzt durch Initiativen in den Bereichen Governance, Friedensarbeit und Geschlechtergerechtigkeit. Gemeinschaften werden in Konfliktlösungen und verantwortungsvollem Handeln unterrichtet. In einer Friedensgruppe unter dem Vorsitz von Avada arbeiten Führungspersonen aus den Gemeinschaften und örtliche Behörden einschließlich religiöser Autoritäten zusammen. Die Gruppe verhindert Konflikte innerhalb der Gemeinschaft, wirkt als Vermittler und trifft sich regelmäßig, um über sich abzeichnende Probleme zu beraten. 

Etwa ein Drittel der Mitglieder der Gruppe sind Frauen, und sie berichten ganz offen über die Herausforderungen, die sie bewältigen müssen. „Wir stellen fest, dass Frauen oft die Hauptlast der Folgen knapper Ressourcen tragen müssen“, erklärt Kaka Yousouf, Vorsitzende der örtlichen Gruppe zur Verhinderung geschlechtsspezifischer Gewalt. Sie erklärt, warum Katastrophen wie die jüngsten Überschwemmungen für Frauen schlimmere Folgen haben als für Männer. Da der größte Teil der Hausarbeit und der Arbeit auf den Feldern von Frauen geleistet wird, müssen sie härter arbeiten, um über die Runden zu kommen, und sie essen später und weniger als andere Familienmitglieder. Mädchen werden oft sehr jung verheiratet, damit ihre Familien einen Brautpreis erhalten und sie nicht mehr für sie sorgen müssen. 

Die Frauen in Yousoufs Gruppe haben einen Betrieb für den biologischen Anbau von Tomaten gegründet, dessen Erträge sie selbst verwalten. Dieses Geld kommt Menschen in Notlagen zugute. „Wir haben 40 Waisenmädchen während ihrer Schulzeit unterstützt“, erzählt Yousouf. Die Gruppe hilft auch bei der Bezahlung von Arztrechnungen und bei der Ausrichtung von Hochzeiten. Yousouf arbeitet mit örtlichen Führungspersonen wie Imamen zusammen, um Früh- und Zwangsverheiratungen zu verhindern. Langfristig geht es in dem Projekt darum, Frauen zu mehr Selbstbestimmung zu verhelfen. 

Partnerschaftliche Zusammenarbeit mit den Gemeinschaften 

Der LWB setzt auf lokale Ressourcen und Lösungen, die von der Gemeinschaft getragen werden. Da es immer wieder zu Überschwemmungen kommt, haben sich viele landwirtschaftliche Betriebe daran angepasst und auf Nassfeldbau umgestellt, z. B. Anbau von Reis auf überschwemmten Flächen. Der LWB unterstützt diese Lösungen. „Die Überflutungen sind eine Katastrophe, und wir können nichts dagegen unternehmen“, sagt Kaka Yousouf. „Wir müssen lernen, mit dieser Realität zu leben.“ 

„Um Notlagen wie die Überschwemmungen im Sommer 2024 zu bewältigen, sind jedoch zusätzliche Ressourcen erforderlich“, sagt Ngolsou Keting, LWB-Ländervertreter im Tschad. „Das stellt uns vor erhebliche Probleme. Zu Überschwemmungen kommt es inzwischen alle zwei Jahre. Wir versuchen im Rahmen von Partnerschaften, unmittelbar erforderliche humanitäre Hilfe zu leisten und dabei gleichzeitig die Vorbereitung auf zukünftige Krisen zu verbessern.“ 

Anaïdjo Avada stimmt dem zu: „Wenn sich zwei Nachbarn über eine schlechte Ernte streiten, können wir vermitteln.“, sagt er. „Aber es ist schwieriger, eine Problemlösung zu finden, wenn man hungrig ist.“ 

Das Projekt „Anpassung an den Klimawandel auf Basis eines Geschlechterrollen verändernden Ansatzes“ wird von Global Affairs Canada und der Organisation Canadian Lutheran World Relief (CLWR) finanziert und von den LWB-Länderprogrammen in Kamerun und im Tschad durchgeführt. Mit einem Etat von 9,5 Millionen EUR über drei Jahre unterstützt das Projekt indirekt mehr als eine halbe Million Menschen. 

Gemeinsam mit der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Amerika hat der LWB damit begonnen, Gemeinschaften auf Naturkatastrophen vorzubereiten und ihnen die Möglichkeiten an die Hand zu geben, die Auswirkungen dieser Krisen zu vermindern. 

LWB/C. Kästner-Meyer