Deutschland: Klimagerechtigkeit von der lokalen zur globalen Ebene und zurück

18 Nov. 2022

Michelle Schwarz von der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens (Deutschland) gehört zu den jungen Menschen, die den LWB auf der UN-Klimakonferenz COP27 vertreten. In diesem Interview gibt sie Einblicke zum Engagement des LWB für Klimagerechtigkeit auf globaler Ebene und ihr Engagement zu Hause.

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Michelle Schwarz von der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens (Deutschland) ist LWB-Delegierte bei der COP27. Hier spricht sie auf einem interreligiösen Jugendpanel während einer Nebenveranstaltung der UN-Klimakonferenz. LWB/Albin Hillert

Michelle Schwarz von der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens (Deutschland) ist LWB-Delegierte bei der COP27. Hier spricht sie auf einem interreligiösen Panel während einer Nebenveranstaltung der UN-Klimakonferenz. LWB/Albin Hillert

Interview mit Michelle Schwarz, COP27-Delegierte aus der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens 

(LWI) – Die Teilnahme an den Delegationen des Lutherischen Weltbundes (LWB) zu den UN-Klimakonferenzen COP26 und COP27 hat ihr Engagement in Aktivismus-Gruppen und in der Advocacy-Arbeit für Klimagerechtigkeit und zur Bewahrung der Schöpfung gestärkt, sagt Theologiestudentin Michelle Schwarz von der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens, Deutschland.   

In diesem Interview spricht sie direkt aus Sharm el-Sheikh, wo die Verhandlungen derzeit in die Verlängerung gehen. Sie gibt Einblicke in die erwarteten Ergebnisse der globalen Konferenz und in ihr Engagement für Klimagerechtigkeit auf lokaler Ebene. 

Wie lautet Ihr vorläufiges Fazit gegen Ende der COP27? 

Für mich persönlich war die COP27 insofern erfolgreich, als ich viele Kontakte knüpfen konnte, die ich in den nächsten Wochen vertiefen möchte. 

Was die Verhandlungen anbelangt, wird diese COP hoffentlich kein Rückschritt sein, sondern die Ergebnisse werden zumindest ein kleines Stückchen näher in Richtung Klimagerechtigkeit weisen. Trotzdem ist die Stimmung an vielen Stellen gespannt; nicht zuletzt, weil einige der großen Entscheidungstragenden ihre Versprechen untergraben. Sie verstärken die Klimakrise durch die fortgeführte Nutzung fossiler Energien und unzureichende Zahlungen an die Schwächsten. Das wirkt auf mich sehr widersprüchlich, da die COP27 die “COP of implementation” sein sollte. 

Für mich war das Auftreten von Präsident Lula aus Brasilien sehr spannend, der besonders für die Amazonas-Region zum großen Klima-Hoffnungsträger geworden ist. Er war für einige Tage der Promi auf der Konferenz. 

Jeden Tag gab es so viele Ereignisse, dass es für mich bis jetzt schwierig war ein konkretes Bild von möglichen Schluss-Szenarien zu formen. Aber eines steht fest: Nach der COP ist vor der COP. Egal was die nächsten beiden Tage bringen werden, es wird leider nicht ausreichen, um das 1,5 Grad Ziel für die globale Erderwärmung einzuhalten. 

Letztes Jahr haben Sie online an der COP26 teilgenommen, dieses Jahr sind Sie vor Ort in Sharm el-Sheikh. Wie erleben Sie diese beiden Teilnahmeformen? 

Als Mitglied der LWB-Delegation zur COP26 habe ich angefangen, die Strukturen der Konferenz kennenzulernen. Ich habe mich mit Themen befasst, von denen ich vorher nur wenig wusste, und ich habe Vokabular gelernt, ohne das ich heute in Sharm El-Sheikh nicht weiterkommen würde. Kurz gesagt: Über die Online-Teilnahme hatte ich die Möglichkeit in die Advocacy-Arbeit hineinzuwachsen, um dieses Jahr vorbereitet vor Ort dabei zu sein. 

In beiden Teilnahme-Varianten hatte ich die Möglichkeit, für zwei Wochen komplett in die global-politischen Gespräche zu Klimagerechtigkeit einzutauchen. Letztes Jahr konnte ich sehr komfortabel alles von zuhause aus verfolgen. In diesem Jahr ist es etwas einfacher den Fokus nicht zu verlieren, weil ich nicht noch nebenbei in die Uni oder zur Arbeit muss.  

Welche Entwicklungen in Bezug auf Klimagerechtigkeit haben Sie seit der COP26 beobachtet – international und in Ihrer Region? 

International habe ich wahrgenommen, dass der Druck von der Zivilbevölkerung auf die Politikerinnen und Politiker immer größer wird. Es ist wichtig zu sehen, dass Klimabewegungen weltweit wachsen. Das führt dazu, dass Menschen anfangen, sich auf konkrete Handlungsmöglichkeiten zu fokussieren und zunehmend kritische Nachfragen stellen. 

In meiner Region, besonders in meiner Kirche, habe ich vor allem Strukturreformen bezüglich Klimagerechtigkeit gesehen: Es wird viel an systematischen Leitfäden, Regelwerken und konkreten Umsetzungsmöglichkeiten für klimagerechte Veranstaltungen, Transportmöglichkeiten, Lebensweisen gearbeitet. Das braucht zwar noch Zeit bis zur Fertigstellung, aber es ist eine wichtige Entwicklung. 

Bitte erzählen Sie uns etwas über Ihren Hintergrund und wie Sie dazu kamen, sich für Klimagerechtigkeit zu engagieren. 

Ich bin in der Nähe eines ehemaligen Braunkohletagebaus bei Leipzig aufgewachsen durch dessen Ausmaß viele Menschen ihr Zuhause verlassen mussten. Diejenigen, die sich damals für Gerechtigkeit einsetzten, waren die Kirchgemeinden. Christinnen und Christen aus unserer Region haben sich politisch in Foren engagiert, Demonstrationen organisiert und Friedensgebete abgehalten. 

Diese Geschichten meiner Eltern haben mich sehr geprägt und meinen christlichen Glauben schon sehr früh mit der Bewahrung der Schöpfung verknüpft. Ich habe angefangen, mich in kleineren Klimaschutzprojekten verschiedener Organisationen zu engagieren und letztendlich beschlossen, diese Erfahrungen auch in meiner eigenen Kirche einzubringen. 

Mit Unterstützung durch den LWB haben wir gemeinsam mit Jugendlichen aus ganz Sachsen einen Leitfaden für klimaneutrale Freizeiten entwickelt und in Kirchgemeinden verteilt. Diese Erfahrung hat mich motiviert, auch in Gremienarbeit für unsere Zukunft einzustehen und aktiv zu bleiben. Seitdem bin ich auf der einen Seite in Aktivismus-Gruppen und auf der anderen Seite in Advocacy-Arbeit engagiert.  

Auf lokaler Ebene engagieren Sie sich bei der Initiative „Churches for Future“. Steht sie im Zusammenhang mit der „Fridays for Future“- Bewegung? Wozu rufen Sie auf? 

Churches for Future ist eine Gruppe, die Kirchgemeinden untereinander vernetzt, nach Möglichkeiten sucht die Biodiversität dieser Gemeinden zu schützen und Workshops anbietet. 

Darüber hinaus sind wir in engem Kontakt mit den Fridays for Future-Gruppen und organisieren gemeinsam mit Health for Future, Scientists for Future oder (Grand)parents for Future Friedensgebete und Aktionen auf Demonstrationen. 

Unser Anspruch als Churches for Future ist es, dazu aufzurufen aktiv die Schöpfung zu bewahren und sich der eigenen Verantwortung und Zuständigkeit in Sachen Klimagerechtigkeit in christlicher Gemeinschaft bewusst zu werden.  

Sie haben die Online-Plattform #theoversity mitbegründet. Wofür setzen Sie sich damit ein? Hilft es Ihnen, die Intersektionalität zwischen Klimagerechtigkeit und Geschlecht, Herkunft usw. aufzuzeigen? 

#theoversity ist eine Studierendeninitiative aus Leipzig, die sich für plurale Perspektiven in unserer Lehre einsetzt. Wir haben nach dem Tod von George Floyd 2020 und mit den Black Lives Matter-Demonstrationen gelernt, wie zentral es ist, immer die eigene Perspektive zu hinterfragen und selbstkritisch zu reflektieren. Wir sind uns bewusst, dass alle von uns auch aus einem diskriminierenden System kommen, aber unser Ziel ist es, dieses System transformativ mitzugestalten. 

Das machen wir durch Lehrevaluation, durch Lesekreise und Veranstaltungen globaler Theologie-Perspektiven. Dazu gehört nicht nur Befreiungstheologie, sondern auch Öko-Theologie, feministische Exegese, postkoloniale Exegese, critical whiteness, Diversität und Ökumene. Wir wollen die ganze Bandbreite sehen und nicht nur die eurozentrische Blickweise. 

Das hat mir sehr geholfen zu lernen, dass diese Themen alle miteinander vernetzt sind und ich sehe, dass es anderen genauso geht. 

Die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) hat in der letzten Woche über das Thema „Evangelische Kirche(n) auf dem Weg zur Klimaneutralität 2035“ beraten. Wie ambitioniert sind die dort formulierten Ziele? 

Ich glaube, dass die EKD-Synode einen guten Anfang gemacht hat, um klare Ziele und Anliegen zu formulieren und auch deren Umsetzung folgen zu lassen. Durch die neue Klimaschutzrichtlinie soll bis 2035 im Raum der EKD 90 Prozent Netto-Treibhausneutralität erreicht werden. Klimaneutralität soll 2045 erreicht werden. 

Es gibt also endlich eine Richtlinie, an der wir uns entlanghangeln können. Wir sind allerdings als evangelische Kirchen in Deutschland noch nicht da angekommen, wo wir ankommen müssten. 

Diese EKD-Richtlinie bietet einen sehr großen Interpretationsspielraum. Das ist auf der einen Seite notwendig für die Umsetzung in Kirchgemeinden. Auf der anderen Seite bedeutet das aber auch, dass wir an unserem Ziel dranbleiben müssen, um diese Richtlinien auch gut und sensibel umzusetzen.  

Was nehmen Sie von der COP27 für Ihre Advocacy-Arbeit in Deutschland und im LWB im kommenden Jahr mit? 

Ich verlasse Sharm El-Sheikh mit vielen Eindrücken, Erfahrungen und Erinnerungen, die ich nutzen möchte. COP27 hat mir gezeigt, wie gewisse Prozesse laufen, zum Beispiel wie man Strategiepapiere verfasst, Veranstaltungen organisiert, sich mit Menschen vernetzt und mit Politikerinnen und Politikern spricht. 

Das sind alles Dinge, die ich zum ersten Mal in diesem Ausmaß erfahren habe. Wenn ich wieder zurück in Deutschland bin, möchte ich gern weitere Advocacy-Strategien kennenlernen und eng mit dem LWB in Kontakt bleiben. Auch bei YOUNGO, der offiziellen Kinder- und Jugendorganisation des Rahmenübereinkommens der Vereinten Nationen über Klimaänderungen (UNFCCC), möchte ich am Ball bleiben. 

Ich glaube, dass diese COP für mich der erste große und wichtige Schritt und Türöffner war für etwas, was mir sehr viel Freude bereitet und wo ich viel geben kann. Das möchte ich auch mit in meine Kirche zurücknehmen: junge Menschen können tatsächlich sehr viel bewegen, aber sie brauchen Unterstützung und Ermächtigung. 

LWB/A. Weyermüller