Die unverzichtbare Rolle des Glaubens beim Schutz und der Integration von Flüchtlingen

27 Juni 2022

Konferenz „Fremde willkommen heißen“ endet mit Erklärungen zu vermehrter religionsübergreifender Zusammenarbeit

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Welcoming the Stranger conference, day 2

(LWI) – Jede Frau, jeder Mann und jedes Kind auf der Flucht vor einem Krieg oder einer Naturkatastrophe, vor Verfolgung oder extremer Armut hat ein Gesicht, einen Namen, eine Geschichte und eine Familie, die zurückbleibt. Es ist die Pflicht aller großen religiösen Traditionen, sich diese Geschichten anzuhören und den zwangsvertriebenen Menschen Schutz und Hilfe anzubieten. Als Partner von Regierungen und internationalen Einrichtungen können glaubensbasierte Organisationen in der weltweit zunehmenden Flüchtlingskrise wesentlich mehr bewirken.

So lautete die Botschaft der Angehörigen verschiedener Glaubenstraditionen, die in örtlichen und globalen Flüchtlingshilfen tätig sind und vom 20. bis 21. Juni an einer internationalen Konferenz teilnahmen, auf der Möglichkeiten zur verstärkten Zusammenarbeit untersucht wurden. Unter dem Titel „Fremde willkommen heißen, Zukunft gestalten“ brachte die religionsübergreifende Veranstaltung über 80 religiöse Führungspersonen, nationale und lokale Aktivistinnen und humanitäre Helfer aus 37 Ländern neben Funktionären des Hochkommissariats der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (UNHCR) an einen Tisch.

Die vom Lutherischen Weltbund (LWB) unter Mitwirkung von Islamic Relief Worldwide (IRW) und dem jüdischen Flüchtlingshilfswerk HIAS organisierte Genfer Konferenz schloss mit einer Botschaft der Hoffnung und einem Appell an die internationalen Instanzen, dass sie begreifen sollen, welch unverzichtbare Rolle der Glaube bei der Heilung von Traumata, dem Aufbau von Widerstandskraft und der Integration von Flüchtlingen in ihre neuen Gastgebergemeinschaften spielt.

Der deutsche Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm von der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern und ehemaliger Vorsitzender des Rats der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) reflektierte über die Worte aus der hebräischen Bibel, in denen betont wird, dass die Pflicht, Immigrierende und Flüchtlinge zu schützen, aus den Erfahrungen der Menschen Israels herrührt, „denn ihr seid auch Fremdlinge gewesen in Ägyptenland“. „Das ist kein aufgezwungenes Gesetz, sondern etwas, das aus dem Herzen kommt, aus dem Wissen, wie es sich anfühlt, wenn man einen sicheren Hafen sucht“, sagte er.

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Bishop Heinrich Bedford-Strohm

Leben als Nächste

„Als Mensch christlichen Glaubens“, fuhr er fort, „bin ich Teil dieses jüdischen Narrativs und ich lebe in dieser Geschichte. Die Welt durch die Augen anderer zu sehen, stellt eine Grundvoraussetzung für gläubige Menschen dar, und es ist nicht möglich, zu Gott zu beten, ohne auch unsere Nächsten zu betrachten.“ Er erinnerte sich an einen Gedenkgottesdienst, den er zusammen mit dem katholischen Kardinal Reinhard Marx 2019 in einer voll besetzten Münchner Kathedrale abhielt und in dessen Verlauf sie die Namen von Hunderten von Menschen vorlasen, die auf der Suche nach Sicherheit und einem würdevollen Leben bei der Überquerung des Mittelmeers gestorben waren.

Bedford-Strohm gehörte zu einer von Safak Pavey, der leitenden UNHCR-Referentin, moderierten Podiumsdiskussion mit vier jungen Frauen und Männern, die in der Hilfe für Flüchtlinge und Asylsuchende in Kenia, Uganda, Malaysia und Serbien arbeiten. Ebenso wie der Bischof haben einige von ihnen aufgrund ihrer Fürsprache für die Rechte dieser Minderheitengemeinschaften Todesdrohungen erhalten oder wurden angegriffen.

Heidy Quah, Gründerin und Leiterin von „Refuge for the Refugees“ (Zuflucht für Geflüchtete) in Malaysia, wurde verhaftet und vor Gericht gestellt, weil sie die Regierung öffentlich wegen der schlechten Behandlung von Flüchtlingen während der COVID-19-Pandemie anprangerte. Moses Atuhaire, der einem Netzwerk glaubensbasierter Organisationen in West-Uganda vorsteht, berichtete von einem Anschlag auf sein Büro, nachdem er im Radio über die Korruption der örtlichen Regierung und die ungerechte Behandlung von Minderheiten gesprochen hatte. Zum Schluss sprach Jelena Djurdjevič, die Koordinatorin des Jesuitischen Flüchtlingsdienstes in Serbien, über die Diskriminierungen, mit denen sie es aufgrund ihrer Arbeit zu tun hat, und dass diese vergolten seien, wenn man sieht, wie Menschen sich neu angesiedelt und sich ein neues Leben aufgebaut haben.

Farida Abdulbasit, die Programmkoordinatorin von Kenya Muslim Youth Alliance (muslimische Jugendallianz Kenia), erzählte von einer jungen kenianischen Flüchtlingsfrau, die zur Ehe mit einem Mitglied der in Somalia ansässigen Miliz Al-Shabaab gezwungen wurde. „Als ihr Ehemann getötet wurde, fand sie mit ihren vier Kindern einen Weg zurück nach Kenia. Sie war durch ihre Erlebnisse traumatisiert, doch alle Betreuer*innen, mit denen wir sprachen, scheuten vor ihr zurück, denn sie war ein Albtraum für die Sicherheit“, sagte Farida.

„Wir gewöhnen uns an die Schwierigkeiten mit der Polizei, aber man muss mit dem Wissen leben, dass man unter Beobachtung steht“, fügte sie hinzu. Doch für Farida war die Belohnung in Form von psychosozialer Hilfe und einem Kleinkredit, mit dem die Frau ein eigenes Geschäft gründen konnte, Motivation genug, um diese schwierige Arbeit fortzusetzen.

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Farida Abdulbasit and Sister Karin Johansson

Die Teilnehmenden betonten, wie wichtig „unerschrockene, zielgerichtete, gemeinsame, innovative und belegbare“ Advocacy-Arbeit für die Rechte von Geflüchteten sei. Sie wiesen darauf hin, wie wichtig Bildung für religiöse Führungspersonen sei, die beträchtlichen Einfluss auf die Gestaltung der landläufigen Meinung zu Themen rund um Einwanderung und Eingliederung nehmen können. UN-Funktionäre und Glaubensakteure waren sich einig, dass eine engere Zusammenarbeit vonnöten sei, „um die Sprache des jeweils anderen zu verstehen“ und um sicherzustellen, dass die Einbeziehung einer Glaubensperspektive über das Planen einer Umsetzung an der Basis hinausgehe.

Die besonderen Bedürfnisse von Kindern und die Auswirkungen geschlechtsbezogener Gewalt auf Migrierende und Flüchtlinge waren wichtige Bereiche, bei denen die Teilnehmenden eine engere Abstimmung zwischen den verschiedenen Glaubensgemeinschaften und säkularen Organisationen forderten, damit Wissen und Erfahrung über Methoden zur Vorbeugung, zum Schutz und zur Heilung ausgetauscht werden. „In unserer Gruppendiskussion sprachen wir darüber, einen Satz Hilfsmittel zu erarbeiten, mit denen schädigende Gebräuche angeprangert, sichere Räume für Frauen und Mädchen geschaffen sowie Männer und Jungen in die Suche nach dauerhaften Lösungen eingebunden werden“, sagte die LWB-Referentin für Gendergerechtigkeit Sikhonzile Ndlovu.

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Child protection and gender impact

Bekämpfung von Fremdenfeindlichkeit

Die Teilnehmenden sagten, dass Glaubensakteure bei der Bekämpfung von Fremdenfeindlichkeit und der Förderung einer friedlichen Koexistenz eine wesentliche Rolle spielen können, und betonten, dabei handle es sich um „ein Langzeitprojekt, das nicht in Notfällen verwirklicht werden kann.“ So könne zum Beispiel die Schaffung von „Räumen der Begegnung durch den Einsatz von Kunst, Musik, Verpflegung oder Sportarten“ ein wirkungsvolles Instrument zur Überwindung von Angst und Unkenntnis darstellen, die die Feindseligkeit gegen Immigrierende anfachen“, sagte Kate Wiggans, die Vertreterin des IRW bei der UNO in Genf. Desgleichen sei es unerlässlich für die Integration in die Gastgebergemeinschaften, dass die Einwandernden mit Wissen über die lokalen Bräuche ausgestattet werden.

Auch könnten religiöse Sprache, Symbole und Rituale einen wichtigen Anteil am Trauma-Heilungsprozess haben, erfuhr die Konferenz. Die Teilnehmenden sagten weiter, die psychosoziale Unterstützung von Flüchtlingen sei bei der Erfüllung der humanitären Hilfsprogramme unentbehrlich. Sie verwiesen auf die Notwendigkeit von Netzwerken, um die Zusammenarbeit zwischen säkularen und religiösen Organisationen zu verbessern und ihnen zu größerer Glaubenskompetenz zu verhelfen. Außerdem merkten sie an, es sei notwendig, sekundäre Traumatisierung und Burnout bei seelsorgerisch tätigen Menschen zu erkennen, vor allem bei Männern, „die bei der Behandlung psychischer Erkrankungen häufig zu kurz kommen“.

Wenn es darum geht, nachhaltige Lösungen für die Herausforderungen zu finden, vor denen glaubensbasierte Gruppen in verschiedenen Teilen der Welt stehen, betonten die Teilnehmenden, sei es wichtig, „dass Flüchtlinge selber Protagonisten dieser Arbeit sein dürfen“. Paula Mazzini Mendes, Regionalverantwortliche der Nationalen Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen in Brasilien, merkte an, dass „das, was die Menschen möchten, nicht immer das ist, was wir geben wollen, deshalb ist es wichtig, sie zuerst zu fragen“.

Bei der Betrachtung der negativen Erzählungen über die venezuelischen Flüchtlinge in ihrem Land sagte sie: „Wir müssen immer beide Seiten der Geschichte hören, um Stereotypisierung und Schuldzuweisungen zu vermeiden. Als Glaubensgemeinschaften sollten wir uns nicht von unserem Glauben an Liturgien einschränken lassen, sondern durch die Speisung der Hungrigen neue Wege der Anbetung finden.“

„Für die Menschen, mit denen wir arbeiten, spielt der Glaube eine wichtige Rolle. Er hilft ihnen zu überleben und zu gedeihen“, sagte HIAS-CEO Mark Hetfield, „deshalb müssen wir aufhören so zu tun, als sei der Glaube unwichtig. Unsere Verpflichtung besteht darin, dafür zu sorgen, dass wir den Glauben als eine Kraft für das Gute einsetzen.“

LWF/P. Hitchen
Land:
Schweiz