Flüchtlingsmädchen entwickelt Führungskompetenz

14 Okt. 2015
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Minzi mit weiteren Mitgliedern des Kinderrechts-Clubs der Boroli Primary School. Innerhalb von nur zwei Jahren wurde sie Schulsprecherin und Vorsitzende des Kinderrechts-Clubs. Foto: LWB-Uganda

Minzi mit weiteren Mitgliedern des Kinderrechts-Clubs der Boroli Primary School. Innerhalb von nur zwei Jahren wurde sie Schulsprecherin und Vorsitzende des Kinderrechts-Clubs. Foto: LWB-Uganda

„Ich möchte ein Teil der Lösung sein“

Pakelle (Uganda)/Genf, 14. Oktober 2015 (LWI) – „Als ich nach Adjumani kam, besass ich nichts als die Kleider am Leib und gerade mal ein Sudanesisches Pfund. Ich war 12 Jahre alt, allein und hatte Angst“, erzählt die heute 14-jährige Gift Minzi.

Mittlerweile lebt das Mädchen in einer Pflegefamilie, ist Schulsprecherin und leitet den Kinderrechts-Club ihrer Schule.

Minzi ist eines von vielen Kindern, die allein im Lager ankommen. Sie gelten als unbegleitete Minderjährige, Kinder, die entweder auf der Flucht von ihren Familien getrennt wurden oder bereits ohne ihre Eltern fliehen mussten. In dieser Situation werden sie besonders leicht Opfer von Ausbeutung oder Vernachlässigung. Ihre Versorgung, die Suche nach passenden Pflegeeltern und die Begleitung in der Pflegefamilie gehören zu den Aufgaben, die der Lutherische Weltbund (LWB) im Flüchtlingslager Adjumani (Norduganda) übernommen hat.

Minzi hatte schon vor ihrer Flucht kein leichtes Leben. Geboren wurde sie in der Stadt Nimule im Bundesstaat Eastern Equatoria (Südsudan). Als sie sieben war, starb ihre Mutter. „Wenn man die Mutter verliert, ist die einzige Hoffnung der Vater“, erinnert sie sich. Aber Minzis Vater vernachlässigte sie und schickte sie nicht zur Schule. Schon in sehr jungen Jahren lernte sie, auf sich allein gestellt zu überleben.

Das Morden wird sie nie vergessen

Als im Südsudan die Gewalt ausbrach, machte sich Minzi allein auf den gefährlichen und beschwerlichen Weg von Nimule ins über 100 Kilometer entfernte Adjumani. Zuhause musste sie um ihr Leben fürchten, aber auch was sie jenseits der Grenze in Uganda erwarten würde, wusste sie nicht. Mit ihr flohen hunderte weitere unbegleitete Kinder und sie erlebte mit, wie ein Mädchen erschossen wurde. Diesen Moment, meint Minzi, wird sie nie vergessen.

In Adjumani fand sie ihre Tante wieder, die sie zum ersten Mal in ihrem Leben in der Schule anmeldete. Das Mädchen erhielt Unterstützung bei der Anschaffung der Schulausstattung. LWB-Mitarbeitende wachen über ihr Wohl und besuchen sie regelmässig, um sicherzustellen, dass sie gut versorgt und behandelt wird. Trotz ihrer Traumatisierung schaffte es Minzi, sich auf den Schulalltag einzustellen. Nach kurzer Zeit war sie bereits unter den besten SchülerInnen der Boroli Primary School und wurde Schulsprecherin. Zu ihren Aufgaben gehört die Bewusstseinsbildung. Sie vermittelt den MitschülerInnen, wie wichtig Bildung ist, und tut ihr Möglichstes, insbesondere die Mädchen von einem Schulabbruch abzuhalten.

„Schon bevor eine Krise eintritt, sind Mädchen in der Regel das schwächste Glied. Diese Situation verschärft sich dann bei Katastrophen und Konflikten“, erläutert Pius Kikomeko, LWB-Programmreferent für Uganda. „Besonders vor dem Hintergrund von alltäglicher Traumatisierung, Gewalt und Misshandlung beeindruckt uns ihre Überlebenskraft, Intelligenz und Begeisterung.“

Das Leben selbst in die Hand nehmen

Minzis Geschichte erinnere uns daran, dass Mädchen in aller Welt noch unter dramatischsten Bedingungen Veränderung bewirken, so Kikomeko.

Anfang dieses Jahres initiierte der LWB Kinderrechts-Clubs an verschiedenen Schulen in Flüchtlingssiedlungen wie Adjumani. Es dauerte nicht lange, dann war Minzi Vorsitzende des Kinderrechts-Clubs der Boroli Primary School. In Sketchen und Liedern vermittelt der Club wichtige Botschaften zu Themen wie Frühehen, Kindesmissbrauch und -misshandlung, Bildung und Gesundheit.

Die sinkende Zahl von Mädchen an ihrer Schule macht Minzi Sorgen. Sie glaubt, dass viele von ihnen zwangsverheiratet werden. Sie ermutigt ihre Mitschülerinnen dazu, ihr Recht auf eigene, bewusste Entscheidungen in Anspruch zu nehmen, und versucht, ein sicheres Umfeld zu schaffen, in dem sie Informationen über sexuelle und reproduktive Gesundheit erhalten und Kernkompetenzen für das Leben erwerben können.

Nach einer Statistik des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen vom September 2014 sind im Distrikt Adjumani (Norduganda) etwa 96.000 Flüchtlinge angesiedelt. Zwei Drittel von ihnen sind Kinder. Mindestens drei Prozent dieser Kinder wurden als unbegleitet oder von ihren Familien getrennt registriert. Noch mehr als andere minderjährige Flüchtlinge sind sie von Ausbeutung, Rekrutierung als KindersoldatInnen und Zwangsarbeit bedroht. Die Mädchen laufen insbesondere Gefahr, sehr jung verheiratet zu werden.

Hört man Minzi beim Singen mit ihrer Gruppe zu, fällt ihre starke Präsenz auf, die sich aus den Erfahrungen in ihrer Kindheit entwickelt hat: „Ich hatte nicht das Glück, meine Rechte als Mädchen zu kennen, aber dieser Club kann anderen helfen“, stellt sie fest. Minzi hat das Gefühl, dass sie im Club langsam die Wunden einer traumatischen Kindheit verarbeitet, und sie hofft, dass die anderen Mädchen durch die Bewusstseinsbildung in dem Club erkennen, wo ihnen Rechte vorenthalten werden. Am wichtigsten ist, dass sie wissen, an welche Stellen sie sich mit möglichen Beschwerden wenden können.

Minzis Beitrag fällt auf. Dennis Andruma ist Lehrer an der Boroli Primary School und Betreuer des Kinderrechts-Clubs. Er hebt die Veränderungen hervor, die Gifts Anstrengungen bei ihren Mitschülerinnen bewirken: „Sie erbringt nicht nur sehr gute schulische Leistungen, sondern ist auch ein Vorbild für die anderen Schülerinnen und Schüler und besonders die Mädchen. Ich werde sehr stolz sein, wenn sie etwas erreicht im Leben.“

Wie geht es mit Gift weiter? „Krankenpflegeschule“, so ihr Ziel. Zunächst liegen zwar noch einige Jahre Primar- und Sekundarschule vor ihr, aber sie ist sich sicher, die Krankenpflege ist ihre Leidenschaft. „Ich möchte anderen helfen können. In den Krankenhäusern hier lässt die Pflege oft zu wünschen übrig. Ich möchte in Zukunft ein Teil der Lösung sein.“

 

Ein Beitrag von Charnelle Etti, LWB-Uganda.

 

LWF/OCS