Erfahrungen in der Arbeit mit Rohingya in Cox’s Bazaar, Bangladesh
(LWI) - Zum Welttag der humanitären Hilfe haben die Vereinten Nationen in dieser Woche auf die besorgniserregende Zunahme von Angriffen auf Zivilisten in Kriegen und Konflikten hingewiesen und Hilfsdienstmitarbeitende aufgerufen, auf ihre Einsatzbedingungen hinzuweisen.
Unter denen, die diesem Aufruf am 19. August gefolgt sind, befinden sich auch Mitarbeitende von RDRS Bangladesch. Diese Organisation, ursprünglich ein Länderprogramm des Lutherischen Weltbundes (LWB), wurde 1972 gegründet und leistete humanitäre Hilfe, Wiederaufbau- und Entwicklungsarbeit im Nordwesten des Landes. Seit über 50 Jahren ist RDRS Bangladesch eine eigenständige nationale Nichtregierungsorganisation, pflegt aber weiterhin enge Beziehungen zum LWB.
Seit Ausbruch der Rohingya-Krise im Jahr 2017 ist LWB-RDRS in Cox’s Bazaar aktiv, dem grössten Flüchtlingslager der Welt. Zunächst wurde schnelle Nothilfe geleistet, später wurden langfristige Unterstützung und Entwicklungsperspektiven für die Geflüchteten und die Aufnahmegemeinschaften geschaffen. Shyamal Barua, Teamleiter des Nothilfeprogramms (LREP) in Cox’s Bazar, berichtet von seinen herausfordernden Aufgaben, teilt seine Erfahrungen aus dem Lager und erzählt, was ihn für diese schwierige, aber auch erfüllende Arbeit motiviert.
Wie sind Sie zu Ihrem Engagement in der humanitären Arbeit gekommen, und was hat Sie zu Ihrer jetzigen Aufgabe geführt?
Mein Weg in die humanitäre Arbeit begann mit dem tiefen Wunsch, die Lebensumstände von Menschen zu verbessern, die existenziellen Bedrohungen ausgesetzt sind. Als die Rohingya-Krise eskalierte, verspürte ich ein starkes Bedürfnis, mich in Cox’s Bazar zu engagieren, da dort die Hilfe am dringendsten benötigt wurde und die Region nach wie vor von einer schweren Krise betroffen ist.
Die Leitung des LREP hat mir die Möglichkeit gegeben, nicht nur den geflüchteten Rohingya und den Aufnahmegemeinschaften in ihrer akuten Notlage zu helfen, sondern auch ihre langfristigen Fähigkeiten zur Krisenbewältigung und -prävention zu stärken. Dies geschieht durch Lebensunterhaltsprogramme, Kompetenzentwicklung und Schutzinitiativen, die wir in Zusammenarbeit mit der Regierung von Bangladesch, UN-Organisationen und NGOs umsetzen.
Was umfasst Ihre Arbeit mit LREP?
LREP hat einen ganzheitlichen Ansatz. Wir helfen in kritischen Bereichen wie Existenzsicherung, Ausbildung, Schutz, Versorgung mit Lebensmitteln und anderen lebenswichtigen Bedarfsgütern, Walderhalt und Umweltschutz. Das Programm führt ebenfalls Initiativen durch, um die Auswirkungen des Klimawandels abzumildern.
Ich leite und manage diese Projekte in enger Zusammenarbeit mit Regierungsstellen und UN-Organisationen, verhandle mit Geberorganisationen, sorge für eine genaue und rechtzeitige Berichterstattung und die Weiterbildung des Teams. In dieser endlosen humanitären Krise wollen wir die Fähigkeit der Rohingya und ihrer Aufnahmegemeinschaften stärken, sich von schwierigen oder stressreichen Situationen zu erholen und sich anzupassen. Unter Fachleuten spricht man dabei von Resilienz, also Widerstandsfähigkeit.
Welcher Teil Ihrer Arbeit hat Ihnen bisher am meisten gegeben?
Es erfüllt mich besonders, zu sehen, welche unmittelbaren positiven Auswirkungen die Arbeit des LWB und des RDRS auf die Gemeinschaften hat, für die wir uns einsetzen. Eine besonders erfüllende Erfahrung ist es, mitzuerleben, wie sich das Leben einzelner Menschen verändert – sei es eine junge Rohingya-Frau, die neue Fähigkeiten erlernt und finanzielle Unabhängigkeit erlangt, oder eine Familie, die Zugang zu lebenswichtigen Dienstleistungen und verbesserter Sanitärversorgung erhält. Diese Erfolge mögen im großen Ganzen vielleicht nicht viel Gewicht haben, doch sie spenden Hoffnung und ermutigen uns. Sie erinnern uns daran, wofür wir arbeiten, und stärken unser Durchhaltevermögen angesichts der vielen Herausforderungen.
Welchen Problemen begegnen Sie während Ihrer Arbeit?
Die Arbeit in Cox’s Bazar bringt zahlreiche Herausforderungen mit sich. Besonders besorgniserregend ist die zunehmende Präsenz bewaffneter Gruppen in den Flüchtlingslagern, die vor allem für Frauen und junge Männer ein ernstes Problem darstellen. Die Zwangsrekrutierung junger Männer durch paramilitärische Banden hat ein gefährliches Umfeld geschaffen, das sowohl für die geflüchteten Rohingya und die Aufnahmegemeinschaften als auch für die humanitären Einsatzkräfte problematisch ist.
Zusätzlich haben die jüngsten politischen Unruhen in Bangladesch die Lage weiter verschärft und die Sicherheitsfrage zu einem zentralen Problem innerhalb der Lager und Aufnahmegemeinschaften gemacht. Tragischerweise haben wir im Jahr 2023 den Verlust von mehr als 500 Rohingya auf hoher See zu beklagen, die auf der Flucht nach Malaysia, Indonesien, Thailand und in den Nahen Osten ertrunken sind, während sie Schutz und ein besseres Leben suchten. Diese Herausforderungen verdeutlichen die Komplexität der Krise und betonen die Notwendigkeit einer fortwährenden und koordinierten Unterstützung durch alle Beteiligten in der Region.
Trotz der extrem schwierigen Umstände, mit denen die Rohingya konfrontiert werden, ist die Kraft und Entschlossenheit der Geflüchteten und der Aufnahmegemeinschaften absolut inspirierend.
Shyamal BARUA, Teamleiter in Cox’s Bazar, Bangladesch
Was motiviert sie, unter diesen Umständen zu arbeiten?
Die Motivation kommt von den Menschen, denen wir helfen. Trotz der extrem schwierigen Bedingungen, mit denen die Rohingya konfrontiert sind, ist die Kraft und Entschlossenheit der Geflüchteten und der Aufnahmegemeinschaften absolut inspirierend. Jede noch so kleine Erfolgsgeschichte zeigt die positiven Auswirkungen unseres Engagements und motiviert mich, weiterzumachen. Zudem spielt die Unterstützung durch unser Team, die Geberorganisationen und die gesamte humanitäre Gemeinschaft eine entscheidende Rolle für unsere Motivation und unser Ziel, unsere Mission erfolgreich umzusetzen.
Was bedeutet der Tag der humanitären Hilfe für Sie selbst?
Der Tag der humanitären Hilfe lässt uns innehalten und die Arbeit all derjenigen wertschätzen, die sich unermüdlich dafür einsetzen, das Leid dieser Menschen zu lindern und den Notleidenden Hoffnung zu geben. Es geht um die Anerkennung für diese stillen Helden und Heldinnen, für die Menschen in den Gemeinschaften, die in diesen außergewöhnlichen Umständen zur Stelle sind und anderen helfen. Im Hinblick auf Cox‘s Bazaar darf nicht vergessen werden, dass unsere Arbeit über die unmittelbare Hilfeleistung hinausgeht. Unser Ziel ist es, die Gemeinschaften auf den nächsten Ernstfall besser vorzubereiten und die Lebensumstände einer der vulnerabelsten Volksgruppen der Welt, der Rohingya, auf Dauer zu verbessern.
Wenn Sie für den Welttag der humanitären Hilfe einen Wunsch äußern dürften, welcher wäre das?
Ich wünsche mir eine Welt, in der humanitäre Hilfe nicht mehr gebraucht wird, in der Friede und Stabilität an die Stelle von Konflikten und Vertreibung treten, besonders in den endlosen Konflikten und fast vergessenen Schicksalen vertriebener und staatenloser Menschen wie der Rohingya. Bis dahin hoffe ich auf eine größere globale Solidarität und Unterstützung für die Einsatzkräfte an vorderster Front in Krisensituationen wie in Cox‘s Bazar. Wir brauchen mehr Ressourcen, ein besseres Verständnis und eine gemeinsame langfristige Verpflichtung, um sicherzustellen, dass die Rechte und die Würde jedes Menschen respektiert werden.