Kenia: Flüchtlingsmädchen erzielt Topnoten in Abschlussprüfung

14 Jan. 2016
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SchülerInnen der Shambe Primary School feiern Margaret Awak Aguer, die die Primarschul-Abschlussprüfung 2015 mit 400 von 500 möglichen Punkten als Jahrgangsbeste der Prüflinge im Flüchtlingslager Kakuma abgelegt hat. © LWB-Kakuma, Januar 2016

SchülerInnen der Shambe Primary School feiern Margaret Awak Aguer, die die Primarschul-Abschlussprüfung 2015 mit 400 von 500 möglichen Punkten als Jahrgangsbeste der Prüflinge im Flüchtlingslager Kakuma abgelegt hat. © LWB-Kakuma, Januar 2016

Zeugnis für gut geführte LWB-Schulen im Kakuma-Flüchtlingslager

Kakuma (Kenia)/Genf, 13. Januar 2016 (LWI) – Langsam kehrt Ruhe ein, eine Woche nachdem die Noten der landesweiten kenianischen Primarschul-Abschlussprüfung (Kenya Certificate of Primary Education, KCPE) 2015 bekanntgegeben wurden. Die Jahrgangsbesten schafften es zum Teil bis ins Fernsehen, wo sie in Interviews einem Millionenpublikum davon erzählen konnten, wie sie ihre hervorragenden Ergebnisse erreicht haben. Andere wurden von Eltern, Geschwistern, ehemaligen Lehrkräften und MitschülerInnen gefeiert, die den Stolz und die Freude der Schüler mit ihnen teilten.

Weitab davon, im Flüchtlingslager Kakuma (Bezirk Turkana) versucht die 17-jährige Margaret Awak Aguer immer noch, ihr Prüfungsergebnis zu begreifen. Trotz schwierigster Bedingungen hat sie sagenhafte 400 von 500 möglichen Punkten erreicht, das beste Prüfungsergebnis im gesamten Flüchtlingslager, wo 2.939 (davon 607 weibliche) SchülerInnen in den 19 vom LWB geführten Primarschulen an den Prüfungen teilgenommen haben.

Margarets Schule, Shambe Primary School, ist eine Schule wie alle anderen. Sie wird von 2.226 SchülerInnen besucht, 838 davon sind Mädchen. Die Unterrichtsbedingungen sind weit vom Ideal entfernt. Die Schule ist überfüllt, in einer Klasse sitzen durchschnittlich 148 SchülerInnen. Das hat Margaret und ihre MitschülerInnen nicht davon abgehalten, ihre Träume zu verwirklichen. 2015 nahmen 219 (davon 38 weibliche) SchülerInnen der Schule an den KPCE-Prüfungen teil.

Zwischen Hausaufgaben und Haushalt

Margarets Geschichte erzählt von harter Arbeit, Bescheidenheit, Disziplin und dem Wunsch, trotz der offensichtlichen Hindernisse etwas aus sich zu machen. Das Mädchen kam 2010 im Alter von 12 Jahren nach Kakuma. Mit 179,000 Bewohnern ist kakuma eins der grössten Flüchtlingslager der Welt, und nach Dadaab das zweitgrösste in Kenia. Gemeinsam mit ihrer Tante Sarah Abul, ihrem jüngeren Bruder und weiteren Verwandten wat Margaret aus dem südsudanesischen Bundesstaat Jonglei geflohen. Ihre Eltern und zwei Geschwister folgten später, aber Margaret wohnte weiter bei ihrer Tante, weil sie dort näher an der Schule war.

„Ich wollte unbedingt zur Schule gehen, aber jedes Mal haben mir ältere Kinder auf dem Schulweg aufgelauert und mich belästigt. Da bin ich zu Hause geblieben“, erzählt sie. Mit der Zeit gewann der Wille zu lernen die Oberhand, sie beschloss, sich davon nicht von der Schule abhalten zu lassen. Im folgenden Schuljahr meldete sie sich in der etwa zwei Kilometer entfernten Shambe Primary School zur Jahrgangsstufe „Class 4“ an.

Wie für viele andere Mädchen in ihrer Situation folgte auch für Margaret eine Gratwanderung zwischen den schulischen Anforderungen und der Arbeit im Haushalt – sie musste Wasser und Brennholz holen, die Wäsche waschen und der Tante beim Kochen helfen. „Ich koche gern und mache sehr gute Mandazi“, erzählt sie und betont, ihre Tante habe sie jederzeit voll unterstützt und ihr sogar eine Solarlampe gekauft, damit sie im Dunkeln ihre Hausaufgaben machen konnte.

„Wenn sie aus der Schule gekommen ist, hat sie immer bei der Hausarbeit geholfen, dann zu Abend gegessen und bis ungefähr 23 Uhr gelernt. Am Morgen steht sie um 5 Uhr auf, holt Wasser und hilft, das Frühstück zuzubereiten, bevor sie in die Schule geht“, ergänzt ihre Tante Sarah.

Höhere Schule ausserhalb des Lagers

Am Tag, als die Ergebnisse bekannt gegeben wurden, fühlte sich Margaret nicht wohl und war in der Krankenstation des Lagers . „In der Krankenstation hat mir ein Junge, der auch die KCPE-Prüfung gemacht hatte, gesagt, dass er seine Ergebnisse per SMS bekommen hatte. Ich wusste nicht, was ich erwarten sollte, bin losgegangen, ohne meine Medikamente mitzunehmen, und nach Hause gerannt. Dann habe ich Guthaben für das Telefon meiner Tante gekauft und meine Ergebnisse abgerufen. Ich konnte nicht fassen, was auf dem Display stand, bis ich in der Schule war und mir bestätigt wurde, dass ich tatsächlich 400 Punkte geschafft hatte“, erinnert sich Margaret und strahlt über das ganze Gesicht.

Das Ergebnis sei für sie wie ein Wunder gewesen, zumal sie es nicht geschafft hatte, den Insha-Aufsatz fertigzuschreiben. Wegen einer Erkrankung konnte sie auch nicht an den Testprüfungen teilnehmen . „Kisuaheli war die schwierigste Prüfung für mich“, berichtet Margaret. Die kenianische Landessprache ist nicht ihre Muttersprache, Margaret musste sie erst lernen. Dennoch erzielte sie mit 80 Prozent der möglichen Höchstpunktzahl die betse Note in Kakuma. Sie ist begeistert von ihrem kenianischen Klassenlehrer, der die Prüflinge bei ihrer Vorbereitung kontinuierlich ermuntert und begleitet hat. „Er hat uns viele Bücher und Übungsmaterialien gegeben und sich Zeit genommen, uns die Fragen zu erklären“, so Margaret.

Die bestandene Abschlussprüfung berechtigt Margaret zum Besuch einer staatlichen Schule in Kenia. Sie möchte dort ihre Ausbildung fortsetzen. Damit hat sie erstmals sein 2010 die Möglichkeit, das Flüchtlingslager zu verlassen. „Ich möchte Jura studieren und irgendwann Richterin werden“, verrät sie.

Schulbildung für Mädchen fördern

Zu ihren schönsten Erinnerungen an die Schule gehört für Margaret die kostenlose Portion Porridge, die die SchülerInnen in der Pause bekommen und der ihnen die nötige Energie für den zweiten Teil des Unterrichts am Morgen gab. „Manche Kinder kommen mit leerem Magen in die Schule und können sich ohne den Porridge überhaupt nicht auf den Unterricht konzentrieren“, erklärt sie. In einem Flüchtlingslager aufzuwachsen und zur Schule zu gehen habe sie gelehrt, sich anzustrengen und immer ihr Ziel im Auge zu behalten. „Man kann alles erreichen, egal wie die Umstände sind, wenn man seinen Teil dazu tut und den Rest Gott überlässt“, meint Margaret, aber fügt doch noch schnell hinzu: „Der Erfolg kommt nicht von selber, man muss hart dafür arbeiten.“

Im Lager Kakuma gibt es 20 Primarschulen und 12 Vorschulen, die von insgesamt 71.972 (davon 28.773 weiblichen) SchülerInnen besucht werden.

2.679 der 2.865 KCPE-Prüflinge legten die Prüfung erfolgreich ab, das entspricht einer Quote von 93,5 Prozent. Dieser Wert hat sich gegenüber 87 Prozent im Jahr 2014 deutlich verbessert. Mit dem erfolgreichen Abschluss erfüllen die Prüflinge die Voraussetzungen für den Besuch weiterführender staatlicher Schulen ausserhalb des Flüchtlingslagers. „Jetzt geht es vorrangig um eine konzertierte Anstrengung, damit alle qualifizierten Prüflinge in den Schulen im Lager oder in staatlichen Schulen einen Platz in der nächsten Jahrgangsstufe bekommen“, erklärt dazu Lennart Hernander, LWB-Ländervertreter im Kenia/Dschibuti-Programm.

Die Schulen werden vom Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) finanziert. Unterstützt werden sie auch vom Welternährungsprogramm mit täglich je einer Tasse Porridge (Getreidebrei) für alle SchülerInnen. Die Lehrkräfte werden vom LWB ausgebildet und sind selbst vielfach Flüchtlinge.

Ein Beitrag von Fred Otieno (LWB-Kakuma).

 

LWF/OCS