LWB-Generalsekretär: „Hoffnung ist das beste Mittel gegen lähmende Nostalgie“

13 Juni 2019
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LWB-Generalsekretär Martin Junge legt dem LWB-Rat auf seiner Tagung 2019 seinen Bericht vor. Foto: LWB/Albin Hillert

LWB-Generalsekretär Martin Junge legt dem LWB-Rat auf seiner Tagung 2019 seinen Bericht vor. Foto: LWB/Albin Hillert

Bericht von LWB-Generalsekretär Martin Junge an den Rat 2019

Genf (LWI) – In einem von wachsender Unsicherheit, Zersplitterung und zunehmender Missachtung der internationalen Ordnung und der international gültigen Normen geprägten Kontext hat der Generalsekretär des Lutherischen Weltbundes (LWB), Pfarrer Dr. h.c. Dr. h.c. Martin Junge, die weltweite Kirchengemeinschaft dringend aufgerufen, Zeugnis abzulegen für eine prophetische Beharrlichkeit, die Gottes barmherzige und befreiende Gegenwart aufzeigt.

„Wir leben in schwierigen Zeiten“, so der Generalsekretär in seinem Bericht. Diese seien geprägt von einer Geringschätzung für die seit Langem geltenden Systeme des Völkerrechts und der Menschenrechte, einer Zunahmen des Populismus, der Fremdenfeindlichkeit und des Fundamentalismus, einem Rückschlag für die Gleichberechtigung der Geschlechter und der fehlenden Bereitschaft, sich dem Klimanotstand zu stellen, mit dem wir trotz der dringenden Aufrufe junger Menschen aus aller Welt weiterhin konfrontiert sind.

„Der zivilgesellschaftliche Raum schrumpft.“ Im globalen Süden stehe der LWB vor „immer größeren Schwierigkeiten“, die Menschen in den betroffenen Gemeinschaften – zum Beispiel in Myanmar – tatsächlich zu erreichen, und er erlebe erhebliche Bedrohungen für Menschenrechtsaktivistinnen und -aktivisten in Ländern wie Kolumbien. Allerdings, so Junge weiter, seien die schwerwiegenderen und wirklich „destabilisierenden Hiebe“ im globalen Norden zu suchen, „wo das Fundament und die Grundfeste des Völkerrechts und der multilateralen Strukturen angegriffen“ würden. Die ersten Opfer dieses Kurswechsels seien „die Menschen und ihre Rechte und insbesondere Minderheiten“.

Die lutherischen Kirchengemeinschaft gehe mit konkreten Maßnahmen, Programmen und Überlegungen auf diese Entwicklungen ein. „Unsere Gegenwart und unsere Stimme als weltweite Gemeinschaft von Kirchen sind ein Zeugnis für eine prophetische Beharrlichkeit, die Gottes barmherzige und befreiende Gegenwart aufzeigt.“

Ziel des Engagements der Gemeinschaft sei es, „Veränderungen herbeiführen in der Welt des 21. Jahrhunderts, die vor solch großen Herausforderungen steht“. Das Engagement baue auf die neue LWB-Strategie 2019-2024 und den darin enthaltenen zwei Arbeitsschwerpunkten: „Unterstützung für die Präsenz und das lebendige Zeugnis der Kirchen in der Welt“ und „Engagement für Menschenwürde, Gerechtigkeit und Frieden“.

Lebendige Kirchen in Zeiten des Wandels

Im Hinblick auf seine Besuche bei LWB-Mitgliedskirchen konnte der Generalsekretär beobachten, dass viele von ihnen „vor großen Veränderungen stehen und quasi eine neue Art und Weise erfinden müssen, Zeugnis abzulegen“. Einige dieser Kirchen hätten im Zentrum der jeweiligen Gesellschaft gestanden, während andere als Minderheitenkirchen Zeugnis ablegten.

In Bezug auf diese Entwicklungen erklärte er: „Keine Kirche ‚stirbt‘ derzeit. Die Kirche verändert sich. Oder muss sich verändern. Dinge gehen dort zu Ende, wo Neues entstehen will“, berichtete der Generalsekretär und weiter: „Viele ermutigende Vorgehensweisen werden ausprobiert und Konzepte diskutiert. Kirchen denken quer und über bisherigen Grenzen hinaus, um zu erkennen, was Gott in der Kirche Neues bewirken möchte. In meinen Augen ist es die Rolle des LWB, die vielen neuen Initiativen, Ideen und Erfahrungen, die es auf lokaler und regionaler Ebene bereits gibt, noch besser zu verbinden und zu vernetzen. Es bietet sich eine großartige Gelegenheit für gegenseitige Bereicherung und einen Erfahrungsaustausch innerhalb der Gemeinschaft über die Grenzen der jeweiligen Regionen hinweg.“

Der Generalsekretär berichtete über eine globale Konsultation über die lutherische Identität, die im Oktober in Äthiopien stattfinden wird. Sie wird untersuchen, wie die LWB-Mitgliedskirchen ihre Identität zum Ausdruck bringen, wenn sie in ihrem jeweiligen Kontext Zeugnis ablegen, und der offizielle Startschuss sein für ein neues Programm zur lutherischen Identität aus einem globalen und heutigen Blickwinkel.

Im Dienst der Schwächsten

Die Zahl der Flüchtlinge und Binnenvertriebenen steige weiter und habe 2018 mit 68 Millionen einen neuen Höchststand erreicht. Gleichzeitig gingen die Ressourcen zurück, die für ihre Versorgung zur Verfügung stünden.

Das Engagement des internationalen diakonischen Arms des LWB, das in Kolumbien ausgeweitet wurde, um auf die Bedürfnisse der Flüchtlinge aus Venezuela reagieren zu können, und in Kamerun verstärkt wurde, um den Flüchtlingen aus der Demokratischen Republik Kongo zu helfen, habe 2018 rund 2,3 Millionen Menschen erreicht.

Der LWB-Weltdienst engagiere sich weiterhin in allen Stufen des Entwicklungszyklus – „von der Nothilfe über den Wiederaufbau bis hin zur langfristigen Entwicklung“. Dabei umfassten die Hilfsmaßnahmen „als zentrales Element aller Programme“ immer auch eine Unterstützung zur Schaffung nachhaltiger Lebensgrundlagen für die schwächsten Gesellschaftsgruppen. Der Generalsekretär brachte seine Anerkennung für die zunehmende Zusammenarbeit zwischen den Programmen des LWB-Weltdienstes und der Kirchen zum Ausdruck.

Meilenstein der ökumenischen Zusammenarbeit feiern

Im Rahmen der diesjährigen Ratstagung werde auch das 20-jährige Jubiläum der Unterzeichnung der Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre (GE) gefeiert werden, die der LWB und die römisch-katholische Kirche 1999 unterzeichnet haben und zu der sich seither auch die methodistischen, die anglikanische und die reformierten Kirchen bekannt haben. Die Mitglieder des LWB-Rates werden die anlässlich dieses 20-jährigen Jubiläums von den fünf unterzeichnenden Glaubensgemeinschaften herausgegebene Jubiläumsausgabe der Gemeinsamen Erklärung erhalten. „Diese gemeinsame Veröffentlichung zeigt deutlich, dass wir tatsächlich konkrete Schritte auf unserem gemeinsamen Weg machen.“

Mit Blick auf das 500-jährige Jubiläum des Reichstags zu Worms, wo Luther 1521 seine Lehren verteidigt hatte, was zu seiner Exkommunikation führte, erklärte Junge, der LWB und der Päpstliche Rat zur Förderung der Einheit der Christen hätten eine Studie in Auftrag gegeben, um „über den historischen Kontext der Ereignisse im 16. Jahrhundert aufzuklären und die darauf folgenden Entwicklungen bis heute nachzuzeichnen“.

Geschenk des Glaubens für die Zukunft

„In der Vergangenheit gibt es keine Zukunft – das war die grundlegende Botschaft an das Volk Gottes, das dem Ruf Gottes aus Ägypten heraus und in die Freiheit gefolgt ist“, schreibt Junge in seinem Bericht im Hinblick auf das anstehende Engagement für Menschenwürde, Gerechtigkeit und Frieden. „Wir sollten unsere Hoffnung nicht auf die Vergangenheit konzentrieren und dadurch die Sklaverei idealisieren, sondern unseren Blick auf die Zukunft richten, um Gottes befreiende Gnade anzunehmen, die allen Menschen gilt. Hoffnung als Geschenk des Glaubens ist das beste Gegenmittel gegen lähmende Nostalgie.“

 

 

Die LWB-Ratstagung 2019 findet vom 13. bis 18. Juni in Genf statt. Das Thema der diesjährigen Ratstagung ist: „Denn wir kennen Gottes Stimme“ (Joh 10,4). Der LWB-Rat tagt einmal im Jahr und ist zwischen den Vollversammlungen das oberste Entscheidungsgremium des LWB. Mitglieder im Rat sind der LWB-Präsident, der Vorsitzende des Finanzausschusses und 48 Vertreterinnen und Vertreter der LWB-Mitgliedskirchen aus den sieben Regionen.

LWF/OCS