Nordirak: LWB hilft bei Vorbereitungen auf den Winter

12 Nov. 2015
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Nordirak: LWB hilft bei Vorbereitungen auf den Winter

Nordirak: LWB hilft bei Vorbereitungen auf den Winter

„Hier hat man jeden Tag ein Gefühl, als würde man sterben“

Dohuk (Irak)/Genf, 11. November 2015 (LWI) – „Wir dachten, es dauert ein paar Tage, dann beruhigt sich die Lage“, erzählt Nadine. „Meine Eltern sagten, geh, besuch deinen Onkel. Es ist nur ein kurzer Ausflug. Der Ausflug dauert jetzt schon eineinhalb Jahre.“

Die junge Frau lebt seit einem Jahr im nordirakischen Flüchtlingslager Davudiya. Die christliche Familie floh im August 2014 aus ihrem Heimatort Bartolla, als die IS-Miliz ihren Vormarsch in der Ninive-Ebene antrat. Sie haben, gemeinsam mit jesidischen, muslimischen und turkmenischen Familien, Zuflucht gefunden in einem Lager für Binnenvertriebene in Kurdistan. Sie alle sind auf der Flucht vor einer Miliz, die jede/n tötet oder versklavt, der/die nicht ihrer Glaubensrichtung angehört.

Das Lager Davudiya liegt etwa eine Stunde ausserhalb der kurdischen Stadt Dohuk im Nordirak und ist eines von mehreren, die der Lutherische Weltbund (LWB) unterstützt. Der LWB hat dort Wasserleitungen und Speichertanks sowie Latrinen gebaut und Hygienepakete an die Lagerbevölkerung verteilt. „Ein Dankeschön an alle, die uns helfen“, artikuliert Nadines Vater Theriakos. „Wir sind wirklich dankbar. Das ist ein blödsinniger Krieg engstirniger Menschen.“

Junge Generation will weg

Nadines Familie hat Glück. Sie haben einen Wohncontainer zur Verfügung, denn das Lager liegt in einem bergigen Gebiet, wo die Menschen nicht in Zelten untergebracht werden können, wie in den anderen 17 Lagern für Binnenvertriebene rund um Dohuk. Im Winter fallen hier die Temperaturen unter den Gefrierpunkt und es schneit. Schon jetzt hat der kalte Herbstregen die Strassen und den Boden im Lager in Schlamm verwandelt. Die Kinder spielen im Schlamm, manche haben immer noch Sandalen und Socken an. In den Wohncontainern teilen sich vier- bis sechsköpfige Familien einen kleinen Schlafraum.

Im Lager gibt es keine Arbeit und viele der BewohnerInnen sprechen kein Kurdisch, die Sprache der Region. Theriakos’ Frau Sara ist Krankenschwester und hilft manchmal in der Nachbarschaft, wenn Leute krank werden. Sie hat sich bei der Lagerverwaltung um eine Stelle in der Gesundheitsstation beworben. Ansonsten hat die Familie nicht viele Möglichkeiten, ihre Zeit auszufüllen, ausser, sich mit den NachbarInnen auszutauschen und Karten zu spielen.

„Wir wissen nicht, wie wir auf diese Weise weitermachen sollen“, erklärt Theriakos. „Ich bin ein alter Mann, ich will bleiben, aber die jungen Leute wollen weg.“ Im Hintergrund des kleinen Raums, um dessen improvisierten Esstisch sich zehn Personen versammelt haben, sind auf dem Fernsehschirm Bilder von ImmigrantInnen zu sehen, die in Europa Grenzen passieren.

In Sicherheit, aber todmüde

Nach Angaben des Hohen Flüchtlingskommissariats der Vereinten Nationen (UNHCR) sind im Nordirak aufgrund des Vorrückens und des Terrors der IS-Miliz 8,2 Millionen Menschen auf humanitäre Hilfe angewiesen. Im Umland der Stadt Dohuk wurden 18 Lager für Binnenvertriebene eingerichtet, vier weitere für Flüchtlinge. In den Lagern leben über 550.000 Menschen. Die meisten von ihnen werden bereits den zweiten Winter in extrem abgenutzten Zelten verbringen, die eigentlich nur als kurzfristige Lösung gedacht waren. Weitere 700.000 Entwurzelte leben ausserhalb der Lager, viele in Gemeinschaftsunterkünften, Kirchen und Rohbauten.

„Es ist schwer für uns. Niemand kennt uns, niemand versteht uns“, beschreibt die 75-jährige Rejena Pulse Isaa die Situation. Sie und ihr Sohn, der im Irak-Iran-Krieg ein Bein verloren hat, teilen sich in einem Sportzentrum einen Raum mit einem älteren Ehepaar – vier Menschen stehen etwa 16 Quadratmeter zur Verfügung. Kirchenkalender und Heiligenbilder hängen an den Wänden, über Stapeln von Decken und Haushaltsartikeln, die sie bei früheren Verteilungen von Hilfsgütern erhalten haben. Draussen, in der Sporthalle, haben die Menschen aus Kartons etwa einen Meter hohe Barrieren aufgeschichtet, um sich auf dem ihnen zustehenden geringen Raum ein wenig abzugrenzen.

Angst vor dem Winter

Noch enger geht es in Dohuks St. Peter und Paul-Kirche zu. Die Gemeinde hat neun Familien aufgenommen. 31 Menschen leben in einem Raum. Die Lautstärke ist belastend, Männer, Frauen und Kinder haben dunkle Ringe unter den Augen. „Wir fühlen uns hier sicher, aber wir sind sehr müde“, bestätigt die 48 Jahre alte Ban, die Mutter von zwei Mädchen ist. Ihre 12-jährige Tochter wird dieses Schuljahr verpassen, denn es gibt nicht genug Klassenräume in Dohuk. „Der Winter kommt, die Toiletten sind draussen und hier drin wird es sehr kalt“, ergänzt eine weitere Mutter. „Wir haben nicht genügend warme Kleidung für die Kinder.“

Selbst die Familien mit kleinen Kindern überlegen inzwischen, ob sie sich auf die gefährliche Reise nach Europa machen sollen. „Wir haben Angst. Wir wissen, dass wir bei der Überquerung des Mittelmeers sterben können“, erklären sie. „Aber das ist besser, als hier zu bleiben. Hier hat man jeden Tag ein Gefühl, als würde man sterben.“

Der LWB unterstützt die Binnenvertriebenen und Flüchtlinge in und um Dohuk mit Lebensmitteln, Winterkleidung, Wasser, Hygienepaketen, Campingtoiletten und Kerosin und leistet psychosoziale Betreuung. ACT Alliance hat einen neuen Finanzierungsaufruf gestartet. Spenden werden benötigt, damit an 400.000 Menschen in der Region weitere Nahrungsmittel, Winterkleidung und Kerosin zum Betrieb von Heizgeräten verteilt werden können.

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LWF/OCS