Kampf gegen Krankheit und Hunger in äthiopischen Flüchtlingslagern
(LWI) – Aus der Luft sieht man das volle Ausmass der Katastrophe. Das Flüchtlingslager von Leitchuor ähnelt einem grossen See, in dem vereinzelt weisse Zelte wie kleine Inseln zu sehen sind. Wer auf dem schlammigen Boden des Camps steht, muss einen weitaus schlimmeren Eindruck verkraften. Es gibt kaum einen trockenen Fleck in dem Lager, in dem fast 50 000 Menschen leben. Viele sind Flüchtlinge, die sich vor dem jüngsten Konflikt im Südsudan in Sicherheit gebracht haben. Insgesamt sind seit Beginn der Kämpfe vor einem Jahr mehr als 200 000 Menschen in die Region geflohen.
Am 17. November 2014 haben das UNHCR und die äthiopische Regierung damit begonnen, Flüchtlinge aus der von Überflutungen bedrohten Region Gambella in ein neues Lager in Pugnido umzusiedeln. Es ist geplant, auch 70 Prozent der Bevölkerung von Leitchuor dorthin zu evakuieren.
Extreme Überschwemmungen sind seit Monaten Realität für die Flüchtlingslager Leitchuor und NipNip in Äthiopien. Im August haben schwere Regenfälle die Region Gambella unter Wasser gesetzt, das Leitchuor-Camp überschwemmt und die Infrastruktur zerstört. Einen Monat später trat der Fluss Baro über die Ufer und richtete weitere Schäden an. Da die Strassen überflutet waren, konnten lebenswichtige Lieferungen und Leistungen nur noch mit erheblichen Einschränkungen durchgeführt werden. Seit das Flüchtlingslager vom Rest der Region abgeschnitten ist, kann das Gebiet nur noch mit Hilfe von UN-Hubschraubern oder Booten versorgt werden, die die Camps über den Baro erreichen und immer wieder Schiffbruch erleiden.
Wasserversorgung und Förderung von Hygiene stehen im Mittelpunkt
„Die Flüchtlinge haben begonnen, Sachen aus den zerstörten Tukuls zu bergen, während sie an den höher gelegenen Strassen und in den aufnehmenden Gemeinschaften in den Dörfern und Kirchen in der Nähe Schutz suchen“, sagt Sophia Gebreyes, die LWB-Ländervertreterin in Äthiopien.
„Die Überschwemmungen stellen die Menschen auf eine harte Probe. Sie müssen ständig neue Quartiere suchen und leiden unter den unsicheren Lebensbedingungen und durchs Wasser übertragene Krankheiten leiden. Die Mütter leben in der ständigen Angst, dass ihre Kinder in den überfluteten Gebieten ertrinken, wir hatten bereits mehrere Todesfälle.“
Trotz der zahlreichen Hindernisse, die die Flüchtlingshilfe in Leitchuor erschwert haben, sind die LWB-Mitarbeitenden nach wie vor entschlossen, die Lebensbedingungen der Flüchtlinge mit lebensrettenden Massnahmen wie der Förderung von Sanitär- und Hygieneeinrichtungen, Abfallentsorgung und Verteilung von WASH-Artikeln (Wasser, Sanitär und Hygiene) zu verbessern.
„Die Verbesserung der Hygienebedingungen und sanitären Einrichtungen ist der wichtigste Teil der aktuellen Massnahmen des LWB. Wir versuchen so, den jüngsten Ausbruch von Hepatitis E und die steigende Zahl der Malariafälle zu bekämpfen, die die Hauptgründe für die vielen Toten sind,“ berichtet die LWB-Vertreterin Gebreyes. Die Malariaprävention und Kontrollmassnahmen wie Umweltmanagement und Aufklärungskampagnen in den Gemeinschaften werden durch Kontaktpersonen für die örtliche Bevölkerung durchgeführt.
Ausserdem verteilt der LWB Hilfsgüter verteilt, darunter 10 000 Stück Seife, 8 000 Wasserkanister, 1 300 Waschschüsseln und 7 900 Eimer. Diese Güter wurden in erster Linie an ältere Personen und unbegleitete oder von ihren Eltern getrennte Kinder verteilt, um ihnen den Transport und die Lagerung von Lebensmitteln zu vereinfachen. Des Weiteren hat der LWB 65 000 Beutel mit Chemikalien für die Trinkwasseraufbereitung ausgegeben, die vom UNHCR zur Verfügung gestellt wurden. Mitarbeitende vor Ort geben Anleitungen zur Wasserreinigung und sorgen dafür, dass diese Materialien fachgerecht verwendet werden.
Ende der Regenzeit bedeutet mehr Flüchtlinge
Zwar dürfte das Ende der Regenzeit die Lage in den derzeit noch überschwemmten Flüchtlingslagern in Gambella entspannen. Die humanitären Mitarbeiter rechnen dann jedoch auch mit einer neuen Flüchtlingswelle, da allgemein vermutet wird, dass die Kämpfe jenseits der Grenze zunehmen, wenn die Wege wieder passierbar sind. „Die kriegführenden Parteien im südsudanesischen Bürgerkrieg haben die Zeit genutzt, um ihre Truppen neu aufzustellen. Wir haben die Befürchtung, dass sie sich auf eine umfassende Offensive vorbereiten, sobald die schweren Regenfälle vorbei sind“, sagt Gebreyes.
Der Südsudan steht weiterhin vor einer humanitären Krise grössten Ausmasses. Die Gesamtzahl der Flüchtlinge, die seit Beginn des Konfliktes Mitte Dezember 2013 nach Äthiopien gekommen sind, beträgt inzwischen fast 194 000 Menschen. Und diese Zahl steigt täglich. Nach Aussagen der ankommenden Flüchtlinge sind Kämpfe und Hunger die Hauptgründe für ihre Flucht. Zwar ist die Zahl der täglichen Neuankömmlinge mit Beginn der Regenzeit zurückgegangen, doch die Hilfskräfte rechnen mit einer dramatischen Zunahme sobald die Fluchtwege nach Äthiopien wieder passierbar werden. Da die Wiederaufnahme der Kämpfe im Südsudan weitere Vertreibungen, Gräueltaten und Hunger nach sich zieht, sind auch immer mehr Menschen gezwungen, Asyl in Westäthiopien zu suchen.
Der prognostizierte Zustrom von Flüchtlingen bringt die Kapazitäten aller Behörden und Organisationen an die Belastungsgrenze, die eine grundlegende Versorgung in dieser „Notlage in der Katastrophe“ sicherstellen wollen. Die Neuankömmlinge und alle, die in dem überschwemmten Lager Leitchuor gestrandet sind, sehen einer ungewissen Zukunft entgegen.