Ohne psychosoziale Begleitung fehlt das stabile Fundament

18 Aug. 2015
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Deena Houmhisna. Foto: LWF Chad

Deena Houmhisna. Foto: LWF Chad

Gore (Tschad)/Genf, 18. August 2015 (LWI) – Die Menschen, die Deena Houmhisna begleitet, haben Unvorstellbares erlebt. „Sie waren im Krieg“, erzählt die junge Frau. „Sie haben zusehen müssen, wie Angehörige getötet wurden. Sie haben alles verloren. Ich habe ein Mädchen getroffen, deren Vater die Kehle durchgeschnitten wurde - vor ihren Augen. Man kann dieses Kind nicht sich selbst überlassen, nachdem es so etwas erlebt hat.“

Houmhisna arbeitet seit 2008 ehrenamtlich für den Lutherischen Weltbund (LWB), hauptsächlich im Bereich psychosoziale Begleitung. Derzeit ist sie den vier Flüchtlingslagern und den sie umgebenden Gemeinwesen in Gore im Süden des Tschad zugeteilt. Die Lager liegen etwa 60 Kilometer von der Grenze zur Zentralafrikanischen Republik (ZAR) entfernt und alle Flüchtlinge, die dort leben, sind Opfer des Konflikts in der ZAR.

Trauma und Gewalt

Manche von ihnen sind schon über 10 Jahre in Gore. Andere sind erst kürzlich eingetroffen. Manche gelten als Rückkehrende, da sie aus dem Tschad stammen, ihre Familie aber schon seit mehreren Generationen in der ZAR gelebt hat. In dem Konflikt in der ZAR verfolgen und töten die mehrheitlich christlichen Anti-Balaka-Milizen Angehörige des Islam.

„Es gab Massaker“, berichtet Houmhisna. „Die Miliz sagte den Leuten, ihr seid nicht aus der Zentralafrikanischen Republik und solltet dorthin zurückgehen, wo ihr hingehört. Also gingen sie in ein Land, das sie nicht mehr kannten.“

In der Flüchtlingssiedlung gibt es wenig Perspektiven und die erlittenen Traumata wirken sich belastend auf die Gegenwart aus. In einem Bericht über die psychosoziale Arbeit von 2014 stellen LWB-Mitarbeitende fest, es gebe viele Fälle unbehandelter Erkrankungen und körperlicher Übergriffe, die nicht versorgt worden seien.

In vielen Fällen führten die erlittenen Traumata zu häuslicher Gewalt und zu Konflikten mit Verletzten. Diese Situationen gefährdeten Kinder und hätten zu einer Zunahme psychischer Gewalt geführt, so der Bericht. „Ohne einen Vermittler oder eine Vermittlerin geht absolut nichts“, erläutert Houmhisna. „Das Konfliktpotenzial ist derartig gross.“

Die psychosoziale Begleitung hat viele Facetten. Houmhisna und ihre KollegInnen stellen, oft auf dem Weg über Hausbesuche, fest, wer Hilfe braucht. Sie vermitteln den Betroffenen medizinische Hilfe, wo das nötig ist, und begleiten die weitere Behandlung. Aber sie leisten auch selbst psychosoziale Unterstützung und organisieren etwa einkommenschaffende Massnahmen, die den Flüchtlingen einen neuen Lebensinhalt geben.

Hilfe beim Vergessen

In den Flüchtlingslagern im Süden des Tschad haben Flüchtlinge Autowerkstätten und Gewürzläden eröffnet. Viele von ihnen sind Frauen und haben im Krieg ihren Ehemann und damit den Ernährer der Familie verloren. Manchen sind „filles mères“, wie sie im französischsprachigen Tschad genannt werden, also minderjährige Mütter. Der LWB stellt sicher, dass sie die nötigen medizinischen Untersuchungen erhalten, bei und nach der Geburt begleitet werden und gewährleistet ein Umfeld, in dem sie ihr Kind aufziehen können. Handelt es sich um eine Vergewaltigung, leistet der LWB auch juristische Unterstützung.

„Ausserdem organisieren wir soziokulturelle Aktivitäten, wie traditionellen Tanz und Theater, das hilft ihnen vergessen, was sie hinter sich haben“, erzählt Houmhisna weiter. „Wir schaffen einen Raum, wo sie zusammenkommen und eine Weile an etwas anderes denken können.“

Der Erfolg ist sichtbar: Familien bewirtschaften Felder und verdienen Geld, anstatt allein von Lebensmittelhilfen abhängig zu sein. Frauen wachsen in die neue Rolle als Ernährerinnen ihrer Familie hinein und können ihre Kinder zur Schule schicken. Menschen mit psychischen Erkrankungen erhalten eine Behandlung, anstatt vernachlässigt und bisweilen sogar in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt zu werden. Die entstehenden Geschäftsideen bieten den Flüchtlingen neue Strukturen – viele Darlehen werden an Gruppen vergeben, die für ihre Mitglieder eine Art neue Familie bieten. Menschen erhalten eine Ausbildung, integrieren sich in die einheimischen Gemeinwesen und mitunter werden auch Menschen mit Behinderungen eingebunden, die sonst das Haus nicht verlassen würden.

„Die psychosoziale Betreuung umfasst alle Arbeitsbereiche. Sie unterstützt und trägt alles andere, was wir tun“, erläutert Houmhisna. „Ohne sie fehlt allem, was wir aufbauen, das Fundament.“

Aktuell aber leisten Houmhisna und ihre KollegInnen bei LWB-Tschad diese psychosoziale Arbeit ehrenamtlich - zusätzlich zu ihrem vollen, belastenden Arbeitstag. Der anhaltenden Flüchtlingskrise im Tschad wird international kaum Beachtung geschenkt, ebenso wenig wie der oft im Stillen geleisteten psychosozialen Arbeit. „Es ist nicht genug Geld da, um allen Bedürfnissen zu entsprechen“, erklärt Houmhisna. „Es fällt schwer, so viele Menschen zu sehen, die in Not sind, und ihnen nicht helfen zu können.“

 

Sandra
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Zentralafrikanische Republik
Tschad
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