Konflikt in Südkordofan bringt massiven Flüchtlingszustrom im Lager Ajuong Thok
Ajuong Thok (Südsudan)/Genf, 28. Oktober 2015 (LWI) – „Als ich mein Dorf in Südkordofan verlassen habe, wusste ich nicht, wie ich ohne meine Eltern überleben soll“, erzählt Amona Tia (15).
Das Mädchen floh gemeinsam mit ihren Geschwistern im Januar vor dem Konflikt im sudanesischen Bundesstaat Südkordofan. Auf ihrer Flucht in den Südsudan wurden sie von ihren Eltern getrennt. Tias 16-jährige Schwester trägt nun die Verantwortung für die Familie, zu der noch zwei weitere Schwestern und zwei Brüder gehören. Der Lutherische Weltbund sorgt dafür, dass die Kinder Unterstützung erhalten und in die Schule gehen können.
Durch die neue Welle von Gewalt in dem Konflikt um Südkordofan, die viele Menschen in die Flucht treibt, hat sich im Flüchtlingslager Ajuong Thok die Zahl der Kinder, die Tias Schicksal teilen, verdoppelt.
Nach Angaben des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR) war bis 20. Oktober die Bevölkerung des Lagers Ajuong Thok von 18.000 auf gut 31.100 Menschen angestiegen. Bis Dezember dürfte die maximale Kapazität des Lagers von 40.000 Personen ausgeschöpft sein. Über die Hälfte der Lagerbevölkerung sind Kinder, ein Drittel der Flüchtlinge dort im Schulalter. Jedes zehnte Kind erreicht das Lager ohne Begleitung und Versorgung durch ein Elternteil oder andere/n Erwachsene/n.
Verstärkte Kinderschutzmassnahmen
LWB-Südsudan, im Flüchtlingslager als Partner der Vereinten Nationen für Bildung und Kinderschutz zuständig, hat seine Arbeit angesichts des gestiegenen Bedarfs intensiviert. Das Programm betreibt drei Primar- und eine Sekundarschule, sechs Kinderschutzzentren und mehrere Kinderrechtsclubs. Zudem bietet es ein beschleunigtes Bildungsprogramm für Heranwachsende an, deren Schulbesuch aufgrund von Konflikt und Krieg unterbrochen wurde und die auf diesem Weg Versäumtes nachholen können.
Beratungsstellen für Kinder und Kinderrechtsclubs sind Instrumente, mit denen der LWB möglichst früh gezielt Kindern helfen will, die besonders gefährdet sind. Tia haben Kinderschutzverantwortliche des LWB im Januar 2015 bereits im Aufnahmezentrum Yida (Südsudan), nahe der Grenze zum Sudan, registriert, bevor sie einem Flüchtlingslager zugewiesen wurde. Nach ihrer Ankunft in Ajuong Thok stellten LWB-Mitarbeitende sicher, dass sie und ihre Geschwister in der Schule angemeldet wurden, und statteten sie mit Büchern, Sandalen, Kleidung, Seife und Damenbinden aus. Weiterhin erhielten die Kinder von ihnen auch die vom Welternährungsprogramm bereitgestellten Lebensmittelrationen.
Die ausschliesslich aus Minderjährigen bestehende Familie wird weiterhin begleitet und regelmässig besucht. Die LWB-Mitarbeitenden ermutigten Tia, an Freizeitaktivitäten teilzunehmen und stellten den Kontakt mit Gleichaltrigen in einer der Jugendgruppen her. Der LWB führt auch gruppentherapeutische Gespräche durch, so dass die Kinder die Möglichkeit erhalten, sich anzufreunden und sich über ihre Erlebnisse auszutauschen.
Schwierige Situation an den Schulen
Wie viele Kinder im Flüchtlingslager ist auch Tia sehr froh über die Chance auf eine Schulbildung. Zunächst besuchte sie die Primarschule Merowe, aber als das Lager immer voller wurde, versetzte man sie an eine andere Schule. Das ist praktischer, denn diese neue Schule kann sie von zuhause aus schneller erreichen und sie bietet unterschiedliche Zeitoptionen für den Schulbesuch an. Tia und ihr Bruder besuchen den Vormittagsunterricht, ihre Schwestern nehmen an dem beschleunigten Bildungsprogramm teil, das am Nachmittag stattfindet. So können alle Kinder zur Schule gehen, sich die Hausarbeit teilen und sich umeinander kümmern.
Trotzdem ist die Situation natürlich alles andere als ideal, erläutert Teamleiterin Anne Mwaura: „Die Primarschule Merowe besuchen aktuell 2.583 Kinder, die in 21 Klassen mit je 123 Kindern aufgeteilt sind.“ Die Klassenräume sind grossteils in aus Plastikplanen und Holzelementen notdürftig improvisierten Zelten untergebracht. Das Material dafür erhielt der LWB von verschiedenen UN-Programmen und -Sonderorganisationen. Üblich sind im Südsudan maximal 50 SchülerInnen pro Klasse. „Die Situation ist noch schlimmer, was die sanitären Anlagen angeht“, ergänzt Mwaura. Es gibt jeweils drei Latrinen für die Jungen und drei für die Mädchen. Das heisst, bis zu 500 SchülerInnen müssen sich eine Toilette teilen. „Die Kinder sind gezwungen, in überfüllten Klassenzimmern zu lernen, Lehrbücher gemeinsam zu benutzen, auf Matten zu sitzen und statt Schuluniformen dieselbe Kleidung zu tragen wie zu Hause“, so Mwaura weiter.
Verstärkte Anstrengungen in der Flüchtlingshilfe erforderlich
Der LWB hatte für 2015 die Unterstützung von 5.400 SchülerInnen eingeplant, aber innerhalb von drei Monaten verdoppelte sich die Zahl der Kinder im Schulalter nahezu.
So hat der LWB 47 neue, für eine mittelfristige Nutzung vorgesehene Klassenzimmer gebaut und 41 zusätzliche Lehrkräfte eingestellt, die selbst Flüchtlinge sind. Darüber hinaus wurden mit einfachen Mitteln – Blech und Holzstangen – Kinderschutzzentren errichtet, wo 3.000 weiteren Kindern Vorschulunterricht angeboten werden kann, und zusätzliche pädagogische Kräfte für diese Arbeit ausgebildet. In der Lagerbevölkerung wurden Kinderschutzkomitees, Unterstützungsgruppen für Pflegefamilien, Jugendgruppen und Kinderrechtsclubs eingerichtet.
Dank der anhaltenden Unterstützung durch einheimische PartnerInnen und internationale Geber, wie den Dienst für Humanitäre Hilfe der Europäischen Kommission (ECHO), die Schwedische Kirche, das UNHCR und das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (UNICEF) konnte das LWB-Team im Jahr 2015 bisher 12.000 Kinder und SchülerInnen versorgen, das sind mehr als doppelt so viele, wie in der ursprünglichen Planung vorgesehen. Trotzdem ist der Bedarf weit grösser als die vorhandenen Ressourcen. Immer mehr Kinder wie Tia und ihre Geschwister treffen in Ajuong Thok ein und es müssen noch grössere Anstrengungen unternommen werden, damit sich ihre Situation nicht verschlechtert.
Dank der Hilfe durch den LWB kann Tia wieder von einer wunderbaren Zukunft träumen. Sie strahlt und erzählt von ihrem Ziel: „Ich möchte eine angesehene Frau sein“, so Tia. „Ich möchte die Schule abschliessen und Präsidentin von Südkordofan werden.“