Treffpunkt der Lebenswege und Kulturen

09 März 2016
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Frauenzentrum im Flüchtlingslager Davudiya (Nordirak). Foto: LWB/Seivan Salim

Frauenzentrum im Flüchtlingslager Davudiya (Nordirak). Foto: LWB/Seivan Salim

Frauenzentren im Nordirak unterstützen weibliche Flüchtlinge

Dohuk (Nordirak)/Genf, 8. März 2016 (LWI) – „In unserem Zelt sind wir zu sechst“, erzählt Sory Rasno (40). „In der Nacht hält uns der Wind wach, es gibt keine Privatsphäre. Die Kinder kommen dieses Jahr in die Schule, aber sie haben keinen Platz, um ihre Hausaufgaben zu machen. Es ist sehr eng. Aber hier können wir unsere Probleme ein Stück weit vergessen.“

„Hier“, das sind zwei Container, die nur wenig mehr Platz bieten als das Zelt von Rasnos Familie im Esyan-Lager für Binnenflüchtlinge im Nordirak. Mit Binnenflüchtlinge werden die inzwischen mehr als eine Million irakische Jesiden, Schiiten und Christen bezeichnet, die der sogenannte Islamische Staat aus ihren Heimatorten vertrieben hat. Jetzt sind sie Flüchtlinge in ihrem eigenen Land.

Auszeit vom Lageralltag

Der Lutherische Weltbund (LWB) hat in verschiedenen Flüchtlingslagern im Nordirak insgesamt neun Frauenzentren eingerichtet. Sie bieten den Frauen, die in der lokalen Tradition normalerweise nicht in der Öffentlichkeit auftreten, ein Forum und einen geschützten Raum, wo sie sich treffen können. In der Regel bestehen die Zentren nur aus einem oder zwei Containern, die manchmal mit einem Zaun umgeben sind. Viel Platz ist da nicht, oft zwängen sich 20 oder mehr Personen in eines der provisorischen Häuschen. Junge Mädchen sitzen auf an der wand aufgereihten Plastikstühlen und stricken. In der Mitte demonstriert eine Frau an einem der Mädchen eine komplizierte Hochsteckfrisur. Im zweiten Container haben sich einige ältere Frauen um Nähmaschinen versammelt und diskutieren Schnittmuster für Kleider und Blusen.

Für Sory Rasno und die anderen Frauen und Mädchen, die hierherkommen, bedeuten die Container eine Auszeit vom Lageralltag. „Wir schliessen neue Freundschaften, wir lernen neue Handarbeitstechniken und vieles andere“, erklärt Rasno. „Hier können wir tun, wozu wir Lust haben.“ Als Beleg zeigt sie eine Zeichnung, auf der ein Kreuz und ein jesidischer Tempel zu sehen sind. In dem Zelt ihrer Familie hätte sie weder Zeit noch Raum zum Zeichnen und Malen.

„Bevor wie das Frauenzentrum eröffnet haben, sassen die Frauen in ihren Zelten fest und konnten nirgendwo hingehen“, erinnert sich Nadia Brahim Morad, die im Auftrag des LWB eines der Zentren leitet. „Sie leiden unter Depressionen und Stimmungsschwankungen.“ Der Vormarsch des sogenannten Islamischen Staats im Nordirak hat die jesidischen, schiitischen und christlichen Familien, die heute im Lager leben, vertrieben. Oft wurde ihnen das Wenige, das sie mitnehmen konnten, auf der Flucht geraubt. Viele haben unsägliche Gewalt beobachtet oder selbst erlebt. Die Menschen hier sind traumatisiert – durch das zuvor Erlebte, aber auch durch ihre aktuelle Situation und die ungewisse Zukunft.

Inoffizielles Forum für das Lager

Die Frauenzentren bieten Ablenkung und Raum für das Erlernen neuer Fähigkeiten. Es werden Näh- und Frisierworkshops angeboten, Alphabetisierungskurse finden statt und die Frauen können spielen und sich künstlerisch betätigen. „Manchmal bringen die Frauen ihre Kinder mit. Sie geben ihnen weiter, was sie hier lernen“, erzählt Morad.

Frauenzentren fördern zudem den sozialen Zusammenhalt in der oft schwierigen Lagersituation. Das zeigt der Besuch im Lager Davudiya, der nördlichsten Ansiedlung von Binnenflüchtlingen um Dohuk. Es ist eines der wenigen Lager, wo Mitglieder von vier verschiedenen Bevölkerungsgruppen – ChristInnen, JesidInnen, SchiitInnen und TurkmenInnen - auf engem Raum zusammenleben. Sie haben ihre Wohnbereiche getrennt organisiert und ein je eigenes Gemeinschaftsleben.

Im Frauenzentrum aber kommen die unterschiedlichen Gruppen zusammen. An einem normalen Nachmittag finden sich an die 30 Frauen und Kinder dort ein. Die Kinder malen Disneyfiguren und Szenen von zuhause, die Frauen unterhalten sich und wechseln sich an der Nähmaschine ab. Vom Atem der vielen menschen sind jetzt im Winter die Fenster beschlagen, der Boden ist bedeckt von nassen Erdklumpen, die die Menschen von den matschigen Wegen im Lager hereinbringen. An so einem Nachmittag kreuzen sich Glaubensüberzeugungen, Kulturen und Lebenswege.

Aus dieser Begegnung ist bereits ein improvisierter Sprachkurs entstanden. Die Jesidinnen sprechen wie die lokale Bevölkerung Kurdisch, die Christinnen jedoch Arabisch.  Jetzt helfen sie sich gegenseitig, die jeweils andere Sprache zu lernen. Das ist besonders für die arabisch sprechenden Flüchtlinge wichtig: Im Kurdischen Nordirak gilt Arabisch als Sprache des irakischen Diktators, der die Kurden jahrzehntelang verfolgt hat, erklärt Wafaa Marana Monzu. „Wir leben jetzt in einem Gebiet, wo alle Kurdisch sprechen“, stellt die Christin Haifa Helaf fest, „also sollten wir auch die Sprache lernen.“ 

Die bunt gemischten Flüchtlinge haben das Problem für sich erst einmal gelöst. „Ich bin glücklich, denn egal, was wir in der Vergangenheit durchgemacht haben, wir leben und lachen noch miteinander“, betont Monzu.

Der LWB betreibt 9 Frauenzentren in nordirakischen Lagern für Binnenflüchtlinge. Gemeinsam mit seiner einheimischen Partnerin, der Jiyan Foundation, bietet er 2.000 traumatisierten Frauen und Mädchen therapeutische Begleitung und psychosoziale Unterstützung.

ACT-Aufruf IRAk

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Cornelia Kästner, LWB Kommunikationsbüro