Ukraine: Zwei Jahre „große Hilfsbereitschaft”

23 Febr. 2024

Zwei Jahre nach Kriegsausbruch in der Ukraine bekräftigt der LWB seine humanitäre Arbeit in der Ukraine, und die globale Unterstützung seiner Kirchen und Partner. Ein Interview mit Josef Pfattner, dem Koordinator der LWB-Hilfe in der Ukraine.

Image
Josef Pfattner (links) und Paolo Ferraris (rechts), LWB-Teamleiter in Polen, bei der LWB-Vollversammlung in Krakau

Josef Pfattner (links) und Paolo Ferraris (rechts), LWB-Teamleiter in Polen, bei der LWB-Vollversammlung in Krakau. Foto: LWB/M. Renaux

Josef Pfattner, LWB-Koordinator für humanitäre Hilfe in der Ukraine zieht Bilanz nach zwei Jahren Krieg

(LWI) - Josef Pfattner koordiniert seit zwei Jahren die Ukraine-Hilfe des Lutherischen Weltbundes (LWB). Im Interview spricht er darüber, wie sich die Hilfe verändert hat, und warum es nach wie vor wichtig ist, für die Ukraine zu spenden.

Von der Bereitstellung von Essen und Medikamenten für Flüchtlinge in Nachbarländern über den Bau von Luftschutzbunkern in Schulkellern und der Einrichtung von Wärmestuben bis zur Sanierung von Wohnungen hat sich die humanitäre Hilfe des Lutherischen Weltbundes (LWB) in der Ukraine verändert. Möglich ist dies durch die anhaltende Unterstützung der LWB-Partner weltweit.



Josef Pfattner, Koordinator der Ukraine-Arbeit des LWB, blickt zurück auf zwei Jahre Ukraine-Hilfe, und erklärt, warum diese Hilfe immer noch von entscheidender Bedeutung ist.



„Nach zwei Jahren hat sich ein Teil der Gesellschaft in Europa daran gewöhnt, dass es einen Krieg in Europa gibt. Dies sollte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass Millionen Familien dramatisch von den Folgen der Invasion betroffen sind. Zu den unmittelbaren Bedürfnissen gehören Nahrung, Unterkunft und medizinische Hilfe, einschließlich der Bewältigung der durch den Krieg verursachten Traumata“, sagt er.

Wenn Sie an den Anfang des Ukraine-Krieges zurückdenken, wie hat sich die Situation in den letzten beiden Jahren verändert?

Wie die meisten wurden wir von diesem Angriff überrascht. Am Anfang war alles unvorhersehbar. Wir wussten nicht, ob die Ukraine innerhalb weniger Tage überrannt wird, und wie viele Menschen fliehen würden. Diese ersten Wochen haben wir eine ganz große Hilfsbereitschaft erlebt, nicht nur viele Nichtregierungsorganisationen haben sich engagiert, sondern auch viele Privatpersonen, Familien und Kirchengemeinden.

Damals hatten viele die Hoffnung, dass der Krieg bald aufhört. Inzwischen dauert er zwei Jahre. Die Hilfsbereitschaft ist immer noch beispielhaft, aber die Toleranz gegenüber den Geflüchteten nimmt an manchen Orten ab. Für die Menschen aus der Ukraine, die jetzt seit zwei Jahren im Ausland leben, bedeutet das auch, dass sie Entscheidungen über ihre Zukunft treffen müssen.

Inwiefern?

Jede Familie ist in einer anderen Situation. Wir erleben Menschen, die ihre Zukunft und die ihrer Kinder im Ausland planen, und wir erleben Menschen, die noch immer hoffen, im nächsten Monat zurückkehren zu können. Inzwischen ist vielen klar, dass sie langfristig denken müssen. Der Krieg hat viele Familien getrennt, die Männer und Väter dürfen die Ukraine nicht verlassen. Viele Frauen sind seit zwei Jahren de facto alleinerziehend, und tragen eine große Verantwortung für ihre Familien.

Image
Mark Mullan, LWB-Teamleiter in der Ukraine, spricht mit Einwohnern des Charkiwer Stadtteils Saltiwka, deren Wohnungen der LWB saniert hat

Mark Mullan, LWB-Teamleiter in der Ukraine, spricht mit Einwohnern des Charkiwer Stadtteils Saltiwka, deren Wohnungen der LWB saniert hat. Foto: LWB/Anatolyi Nazarenko

Was tut der LWB in der Ukraine?

Unserer Arbeit in der Ukraine ist vor allem Nothilfe. Wir haben uns, nach einer anfänglichen Phase in Chernihiv, jetzt auf die Stadt und die Region Charkiw konzentriert. Charkiw, die zweitgrößte Stadt der Ukraine, liegt nur 40 Kilometer von der russischen Grenze entfernt, im Moment gibt es dort gerade wieder mehrmals täglich Luftalarm. Die Angriffe zielen vor allem jetzt im Winter auf die Infrastruktur, und die Menschen sind oft lange ohne Heizung und Strom.

Image
Wärmestube in Charkiw

Wärmestube in Charkiw. Foto: LWB/Anatolyi Nazarenko

Uns ist es wichtig, mit unserer ukrainischen Mitgliedskirche zusammen zu arbeiten, der Deutschen Evangelisch-Lutherischen Kirche der Ukraine (DELKU). Sie hat ihren Bischofssitz in Charkiw, und Bischof Pavlo Shvarts ist eine große Hilfe dabei, vor Ort Kontakte zu knüpfen, und zu analysieren, wo Hilfe am nötigsten ist.

Wir arbeiten auch zusammen mit zwei lokalen Organisationen, die sogenannte Wärmestuben betreiben. In den Wärmestuben bekommen die Menschen warmes Essen, können sich aufwärmen und elektronische Geräte aufladen.

Image
Ukrainische Flüchtlingskinder in einer Schule in Gliwice, Polen. Für viele Familien beginnt die Integration im Gastland damit, dass sie ihre Kinder statt Onlineunterricht in eine lokale Schule schicken

Ukrainische Flüchtlingskinder in einer Schule in Gliwice, Polen. Für viele Familien beginnt die Integration im Gastland damit, dass sie ihre Kinder statt Onlineunterricht in eine lokale Schule schicken. Foto: LWB/Albin Hillert

Wie hat sich die Hilfe für die Ukraine insgesamt verändert?

Unsere Arbeit mit Geflüchteten in den Nachbarländern der Ukraine war am Anfang ebenfalls vor allem Nothilfe. Die Menschen haben eine Unterkunft gebraucht, etwas zu essen und die lebensnotwendigsten Dinge, medizinische Versorgung. Sechs Monate später haben wir angefangen, unsere Hilfe zu spezialisieren: Inzwischen konzentrieren sich unsere Angebote auf Integration. Sie beinhalten psychosoziale Unterstützung, Sprachkurse, und Ausbildungsangebote. Das geschieht vor allem durch unsere Mitgliedskirchen in Polen, der Slowakei, Rumänien und Ungarn, und durch unser Länderprogramm in Polen.

Ein anderer Unterschied ist, dass wir anfangs durch unsere Mitgliedskirchen und das LWB-Programm in Polen zunächst nur mit Geflüchteten außerhalb der Ukraine gearbeitet haben. Seit Sommer 2023 sind wir auch in der Ukraine selbst tätig.

Nach zwei Jahren Krieg hat sich ein Teil der Gesellschaft in Europa an den Krieg auf europäischem Boden gewöhnt. Dies sollte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass Millionen Familien dramatisch von den Folgen der Invasion betroffen sind. Zu den unmittelbaren Bedürfnissen gehören Nahrung, Unterkunft und medizinische Hilfe, einschließlich der Bewältigung der durch den Krieg verursachten Traumata.

Gibt es auch langfristig angelegte Projekte in der Ukraine?

Unser größtes Projekt in der Ukraine ist gerade zusammen mit dem UNHCR die Sanierung von Wohnungen in Charkiw. Über 10,000 Wohnungen wurden in den ersten Kriegswochen durch Raketeneinschläge schwer beschädigt oder sind komplett ausgebrannt. Ihre Bewohnerinnen und Bewohner sind bei Verwandten untergekommen, oder leben in Sammelunterkünften. Viele hatte alle Ersparnisse in diese Wohnung gesteckt, es sind ältere Menschen, alleinerziehende Mütter oder Menschen mit Behinderung, die weder Geld noch Möglichkeiten haben, ihre Wohnungen wieder bewohnbar zu machen. Ende 2023 konnten wir 525 frisch sanierte Wohnungen an ihre Besitzer zurückgeben.

Unsere Arbeit geht deshalb über die einfache Sanierung hinaus, wir haben unsere Hilfe um die Bedürfnisse der jeweiligen Familie aufgebaut, und integrieren auch psychosoziale Angebote. Jeder braucht etwas anderes, manche brauchen medizinische Hilfe, andere haben kein Einkommen, oder sind von den ständigen Luftangriffen traumatisiert.

Wie geht es 2024 weiter, und was sind die größten Herausforderungen?

Je länger der Krieg dauert, umso schwieriger wird es, Geld für unsere Arbeit in er Ukraine einzuwerben. Auch die Sicherheitssituation hat sich in den letzten Monaten verschlechtert.

2024 werden wir uns auf einkommensfördernde Maßnahmen konzentrieren. In Charkiw gab es vor dem Krieg viele kleine Geschäfte und Betriebe, die durch die Angriffe zerstört wurden. Wir wollen mit den lokalen Behörden besprechen, wie wir den Betrieben helfen können, dass sie wieder produzieren können, und Leute einstellen. Die Menschen sollen so viel wie möglich selbst für ihren Lebensunterhalt sorgen können.

Was mich beeindruckt, ist das große Vertrauen, das uns die Menschen aus der Ukraine von Anfang an entgegengebracht haben. Da fühle ich eine große Verantwortung, wir dürfen dieses Vertrauen nicht aufs Spiel setzen.

Die Ukraine hat viel Unterstützung erhalten, andere Krisengebiete sind darüber in Vergessenheit geraten. Was sagen Sie den Menschen, die denken, wir sollten die Ukraine-Hilfe einstellen?

Der LWB arbeitet in 24 Ländern, und natürlich sehen auch wir die Unterschiede zwischen den Geldern, die wir für die Ukraine erhalten, und den Mitteln, die wir haben, um beispielsweise sudanesische Flüchtlinge im Tschad zu versorgen.

LWB/C. Kästner-Meyer