Ukrainischer Bischof Shvarts: Bietet Geflüchteten Schutz

27 Febr. 2022
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Jerzy Samiec, Leitender Bischof von der Evangelisch-Augsburgischen Kirche in Polen (l.), und Bischof Pavlo Shvarts, Landesbischof der Deutschen Evangelisch-Lutherischen Kirche in der Ukraine. Bischof Samiec hat die Gemeinden seiner Kirche angewiesen, ihre Türen für Geflüchtete aus der Ukraine zu öffnen. Foto: Dariusz Bruncz

Jerzy Samiec, Leitender Bischof von der Evangelisch-Augsburgischen Kirche in Polen (l.), und Bischof Pavlo Shvarts, Landesbischof der Deutschen Evangelisch-Lutherischen Kirche in der Ukraine. Bischof Samiec hat die Gemeinden seiner Kirche angewiesen, ihre Türen für Geflüchtete aus der Ukraine zu öffnen. Foto: Dariusz Bruncz

“Sprecht euch gegen die Sünde des Krieges aus, und nicht für einen imaginären Frieden”

KHARKIV, Ukraine/GENF (LWI) - Lutherische Gläubige in der Ukraine stellen sich entschieden gegen den Einmarsch Russlands und unterstützen die Menschen im Land. Sie rufen die Kirchen in Europa auf, Flüchtlinge aus der Ukraine aufzunehmen, sich gegen den Krieg einzusetzen und Unterstützung für die Grundversorgung und medizinische Versorgung zu leisten. Der polnische Journalist und Redakteur Dariusz Bruncz sprach mit Pavlo Shvarts, Bischof der Deutschen Evangelisch-Lutherischen Kirche in der Ukraine.  

Bischof Shvarts, wo halten Sie sich derzeit auf?

Ich bin aktuell in der Nähe von Kharkiv. Ich bin gerade aus der Stadt zurückgekehrt, nachdem ich meine Frau und Kinder bei Verwandten in Sicherheit gebracht hatte. Ich konnte nicht nach Kharkiv zurückkehren, weil sich die Stadt unter ständigem russischem Beschuss befindet. 

Wie sieht die Lage in Ihrer Kirche aus?

Unsere Kirchengemeinden befinden sich in unterschiedlichen Situationen. In Kharkiv, wo ich ja auch  Gemeindepfarrer bin, sind ein paar Menschen geflohen, aber die meisten verbleiben in der aktiven Kriegszone. Russische Einheiten haben uns umkreist und ihre Panzer fahren Richtung Berdjansk. In manchen Orten ist es immer noch relativ ruhig, aber was uns jetzt Sorgen bereitet, ist die Tatsache, dass sich die meisten unserer Kirchengemeinden im Osten und Süden des Landes befinden, wo gerade der Krieg tobt. Unsere Gläubigen bleiben mehrheitlich in ihren Ortschaften. Manche können nicht fliehen, weil sie beispielweise Familienangehörige unter ihrer Obhut haben, die nicht imstande sind, eine weite und anstrengende Reise auf sich zu nehmen. Was uns übrig bleibt, ist die Aufrechterhaltung unserer Kontakte, das Gebet und die Koordinierung humanitärer Hilfe. 

Haben Sie irgendwelche Meldungen über Opfer unter Ihren Kirchenmitgliedern oder über die Zerstörung von Kirchen?

Bis zu diesem Zeitpunkt glücklicherweise noch keine. Vorgestern, also am ersten Tag des russischen Angriffs, ist hier Panik ausgebrochen – ich spreche hier über Menschen aus meinem Bekanntenkreis. Inzwischen ist es einigermaßen ruhiger geworden, insofern man überhaupt von Ruhe in einer solchen Situation sprechen darf. 

Kharkiv liegt sehr nah an der russischen Staatsgrenze und die meisten Stadtbewohner sind russischsprachig. Wie ist die Stimmung der lokalen Bevölkerung? 

Es gibt zwar hier und da Meinungsverschiedenheiten, aber dieses Mal erfreut sich Russland – milde ausgedrückt – keiner großen Sympathie wie zuvor. Natürlich, viele Menschen verbinden bzw. verbanden viele Kontakte, aber es ist schwierig von einer „Freundschaft“ zu reden, wenn sie heute mit der Trajektorie ballistischer Raketen, Bomben und dauerndem Beschuss zum Ausdruck gebracht wird. Dieser Aggressionshagel bewegt Menschen zum Umdenken und gleichzeitig stärkt er den Zusammenhalt der ukrainischen Gesellschaft in ihrem Kampf um ihr Vaterland. 

Was können evangelische Kirchen in Europa tun? Wie können wir helfen? 

Nehmt Flüchtlinge aus den Kriegsgebieten auf und bietet ihnen seelsorgerlichen Beistand an. Betet und sprecht laut über die Sünde des Krieges und nicht über irgendwelchen imaginären Frieden, der gemeinsame Schuld beider Seiten vorgaukelt. Darüber hinaus brauchen wir auch finanzielle Unterstützung für Lebensmittel, Medikamente, Hygieneprodukte und die Ausstattung von Notunterkünften. 

Haben Sie irgendwelche Signale von russischen Lutheranern bekommen?

Nur ganz spärliche. Das waren meistens private Mitleids- und Betroffenheitsbekundungen und Versicherungen, dass man für uns bete. Russische Lutheraner können nicht öffentlich die Flagge zeigen, sonst müssten sie mit Repressionen rechnen. Wahrscheinlich ist es aber auch so, dass die meisten Schweigenden unter dem Einfluss der Regierungspropaganda stehen.  

Was werden Sie in den nächsten Stunden und Tagen tun?

Das Übliche. Ich werde mit Menschen sprechen und versuchen, sie zu trösten und ihnen zuzuhören. Ich werde auch mit ihnen beten und notfalls auch beim Transport von Lebensmitteln nach Kharkiv aushelfen. Hinzu kommen noch Hausbesuche von meinen Gemeindemitgliedern. Mit den meisten Menschen haben wir einen guten Kontakt durch die Mitglieder des Kirchengemeinderates. Ich werde mich auch darum bemühen, mich mit unseren anderen Gemeinden und Freunden in der Ukraine und im Ausland auszutauschen. Kurz gesagt: ich werde nichts Großes leisten. Ich werde einfach helfen, soweit ich kann. 

Text und Übersetzung von Dariusz Bruncz. Er ist ein polnischer lutherischer Journalist, Hochschullehrer und Herausgeber der Website ekumenizm.pl. Zuerst am 26. Februar 2022 auf Polnisch veröffentlicht

 

LWF/OCS