„Wo soll ich hingehen?"

03 Aug. 2016
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Orlinda Romaña sorgt sich um die Zukunft ihrer Familie. Foto: LWB/R. Leskinen

Orlinda Romaña sorgt sich um die Zukunft ihrer Familie. Foto: LWB/R. Leskinen

Forderung nach Regulierung des informellen Goldbergbaus in Kolumbien

CHOCÓ, Kolumbien/GENF, 29. Juli 2016 (LWI) – „Wenn ich hier nicht weiter Gold schürfen darf, muss ich von hier wegziehen", sagt Orlinda Romaña, 38, alleinerziehende Mutter von sieben Kindern, die seit ihrem elften Lebensjahr im informellen Kleinbergbau arbeitet.

„Ich möchte aber nicht von hier weg, sondern bleiben. Das ist mein Haus. Es gibt keinen anderen Ort, wo ich hinziehen könnte, und ich muss arbeiten, damit wir anständig leben können. Das Goldschürfen ist meine einzige Einnahmequelle", berichtet sie.

Romaña ist einer der zahlreichen Menschen, die im Departamento Chocó im Westen Kolumbiens leben und seit Generationen ihr Geld mit dem informellen Bergbau verdienen. Es hat immer für den Lebensunterhalt ihrer Familien und für die existenzsichernden Güter und Dienstleistungen gereicht.

Allerdings ist es mit dieser Art der informellen Arbeit seit dem Auftreten der großen kommerziellen Goldbergbauunternehmen und dem Einsatz schwerer Maschinen vorbei. Menschen wie Orlinda Romaña können jetzt höchstens bei den Besitzern der Goldminen um die Erlaubnis bitten, jeweils einen  Tag in der Mine arbeiten zu dürfen. Sie haben das Recht, das aus der Mine gewonnen Gold in Eigenregie und im Rahmen eines als „barequeo“ bezeichneten  Systems zu verkaufen.  Nach welchen Regeln dies geschieht, wird wöchentlich, alle zwei Wochen oder monatlich verhandelt. Der unregulierte Bergbau führt zu Spannungen zwischen ethnischen Gemeinschaften und ebenfalls zwischen den Kleinbergleuten und den großen Unternehmen.

Falsche Vorstellungen vom Eldorado

„Die Ernährungssouveränität ist abhanden gekommen, und auch die traditionellen wirtschaftlichen Strukturen in ländlichen Gegenden verändern sich, wenn dort Gold abgebaut wird“, erklärt Beatriz Garcia del Campo, Koordinatorin des LWB-Weltdienstprogramms in Kolumbien.

Menschen, die seit jeher ihren Lebensunterhalt mit dem Schürfen von Gold verdient haben, machen jetzt die Erfahrung, dass sie mit dem Auftauchen der großen Goldbergbauunternehmen ihre Existenzgrundlage verlieren. Darüber hinaus hat die damit einhergehende Zerstörung  landwirtschaftlicher Nutzflächen in der Region schwere Umweltschäden zur Folge. 

Gemeinsam mit der katholischen Kirche in Chocó und örtlichen Organisationen wie COCOMOPOCA (afrokolumbianischer Gemeinschaftsrat) und Tierra Digna nimmt sich der LWB Kolumbien dieser Situation an.

Im Rahmen eines von der Europäischen Union und der Kirche von Schweden unterstützten Projekts begleiten sie gemeinschaftliche Konsultationen, um mehr Transparenz in die Aktivitäten der Bergbaukonzerne zu bringen. Diese Workshops und Informationsveranstaltungen zu örtlichen gesetzlichen Fragestellungen werden durch den UN-Menschenrechtsrat und das UN Forum für Wirtschaft und Menschenrechte unterstützt, die auf nationaler und internationaler Ebene Advocacy-Arbeit leisten.

Die einzige Option für die örtliche Bevölkerung besteht darin, sich von den Goldbergbauunternehmen einstellen zu lassen. Die völlige Abhängigkeit vom Bergbau hat jedoch den Autonomieverlust der Gemeinschaften zur Folge und führt, so del Campo, zu erheblichen ökologischen und sozialen Verwerfungen.

„Es gibt außerdem die falsche Vorstellung, dass die Menschen hier leicht verdientes Geld im Überfluss haben. Sie müssen aber jetzt für etwas zahlen, dass die früher selbst produziert haben.“ Wenn die Minen erschöpft sind, verliert die örtliche Bevölkerung oft alles: Sie wurden von ihrem Land vertreiben und müssen sich jetzt auch noch woanders Arbeit suchen.

Regulierung ohne Beeinträchtigung der Existenz

Rückzug des Staates, bewaffnete Konflikte, Arbeitslosigkeit, mangelnder Zugang zu Gesundheitsversorgung und Bildung und die permanente Verletzung von Menschenrechten – all dies ist im Departamento Chocó an der Tagesordnung und verschärft die ökologischen und ökonomischen Probleme.

„Der Staat muss in diese Region investieren, mit den Gemeinschaften nach Alternativen suchen, neue wirtschaftliche Möglichkeiten eröffnen, Arbeitsplätze schaffen und die Umwelt schützen“, fordert Liseño Bejarano Blandon, ein Mitglied des Gemeinderates in Pueblo Viejo. Seiner Meinung nach – und dies ist auch der Standpunkt der gesamten Gemeinschaft – sollte der informelle Goldbergbau reguliert, aber nicht als illegal erklärt werden.  Die Menschen in Chocó erwarten, dass das Goldschürfen gesetzlich reguliert wird, aber ohne Gefährdung der Existenzgrundlage ihrer Familien.

Die Gemeinschaften, die am Ufer der Flusses Bebará in Chocó leben, sind besonders betroffen, da die Regierung dem informellen und illegalen Goldbergbau den Kampf angesagt hat.

„Alle Menschen hier in der Region leben vom Bergbau – entweder arbeiten sie direkt in den Minen nach dem bareque-System, oder als Transportarbeiter“, erklärt Yair Rivas. Was wir anbauen, reicht gerade für die Ernährung unserer Familien, zum Verkauf bleibt nichts übrig.
 

(Ein Beitrag von Nubia Rojas, LWB Kolumbien)

 

LWF/OCS
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Kolumbien