„A World of Neighbours“: Vision einer aufnahmebereiten Gesellschaft

21 Febr. 2022
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Anna Hjälm, Programmdirektorin von „A World of Neighbours“. Foto: Magnus Aronson

Anna Hjälm, Programmdirektorin von „A World of Neighbours“. Foto: Magnus Aronson

Interreligiöse Tagung für die Unterstützung von Migrierenden und den Aufbau inklusiver Gesellschaften

UPPSALA, Schweden/GENF (LWI) – „Unsere Menschlichkeit bewahren“ ist das Thema einer interreligiösen Online-Tagung, die vom 20. bis 24. Februar stattfindet und vom europäischen interreligiösen Netzwerk „A World of Neighbours“ organisiert wird. Das Netzwerk wurde von Antje Jackelén, Erzbischöfin der Schwedischen Kirche, ins Leben gerufen und sieht seine Aufgabe darin, die Beziehungen zwischen glaubensgeleiteten Akteurinnen und Akteuren zu verbessern, die mit und für Migrierende, Geflüchtete und andere Menschen arbeiten, die ihre Heimat verlassen mussten. 

Als Programmdirektorin für „A World of Neighbours“ ist Anna Hjälm für die Koordinierung des Gipfels zuständig, der aus einer eng getakteten Abfolge von Andachten und Workshops, Vorlesungen und Seminaren, Filmen, Musikdarbietungen und einem interreligiösen Jugendtreffpunkt besteht. Zu den Referentinnen und Referenten gehören religiöse und zivilgesellschaftliche Führungspersönlichkeiten sowie Vertreterinnen und Vertreter aus Politik, Recht, Wirtschaft, Medien und Basisbewegungen, daneben zahlreiche Migrierende und Geflüchtete, die ihr Wissen und ihre Erfahrungen einbringen können. 

Hjälm fühlt sich in ihrer Arbeit durch das Engagement und den Einsatz der Netzwerkmitglieder inspiriert und motiviert. „Diese Menschen bestimmen vielleicht nicht die Schlagzeilen, aber sie verändern die Welt dort, wo sie jeden einzelnen Tag im Einsatz sind und uns dabei helfen, eine aufnahmebereite Gesellschaft zu bleiben,“ sagte sie. Der Gipfel, so Hjälm weiter, „wird beispielhaft die Arbeit zeigen, die in den einzelnen Ländern geleistet wird, von der Unterstützung der Menschen, die aufgrund der Krisensituation im Grenzstreifen zwischen Polen und Belarus gestrandet sind, bis hin zur ‚Wave of Hope‘-Bildungsinitiative der Geflüchteten auf der griechischen Insel Lesbos.

Interreligiös ist der neue Normalzustand

Sivin Kit, Programmreferent des LWB (Lutherischer Weltbund) für öffentliche Theologie und interreligiöse Beziehungen, nimmt ebenfalls an dem Gipfel teil. Kit wird eine Diskussion mit Jackelén, dem Geschäftsführer des Lateinamerikanischen Jüdischen Kongresses, Claudio Epelman, und Emin Poljarevic, Dozent für islamische Theologie und Philosophie an der Universität Uppsala, über die schwindende Bedeutung von Religion innerhalb der Gesellschaft leiten. Kit beschreibt den Gipfel als „Höhepunkt einer außerordentlichen Initiative, die den Beitrag von Menschen im praktischen Einsatz herausstellt und konkrete Wege aufzeigt, wie Europa eine inklusive und aufnahmebereite Gesellschaft sein kann.“

 Magnus Aronson

Das Netzwerk entstand als Antwort auf die Migrationskrise von 2015, als rund 1,5 Millionen Menschen in erster Linie aus Syrien, aber auch aus Afghanistan, Pakistan, dem Irak, Nigeria und Eritrea nach Europa kamen und dort Asyl suchten. Das war die größte Anzahl von Asylsuchenden nach dem Zweiten Weltkrieg innerhalb eines einzigen Jahres. Eine Studie der Schwedischen Kirche hat gezeigt, dass sich 80 Prozent der Gemeinden im Land in irgendeiner Weise an kurz- und langfristigen Unterstützungs- und Aufnahmeaktionen für Asylsuchende beteiligt haben.

„Die meisten dieser Migrierenden waren nicht christlichen Glaubens“, stellt Hjälm fest, „und nur sehr wenige, wenn überhaupt, waren lutherisch, weshalb innerhalb weniger Jahre interreligiöse Begegnungen im gesamten Land in einer Weise stattfanden, die wir noch nie erlebt haben.“  Was als „diakonische Arbeit der Kirchen begonnen hatte, um den Fremden willkommen zu heißen“, so Hjälm, „hat sich sehr schnell zu einem gemeinsamen Leben entwickelt, in dem Interreligiosität zu einem neuen Normalzustand wurde.“ Unter Nutzung vorhandenen Wissens und der auf lokaler Ebene entwickelten Ressourcen gründete Jackelén 2018 ein Netzwerk, um Kontakte zu Menschen in Schweden und auch in anderen Ländern herzustellen, die tagtäglich in diesem religionsübergreifenden Umfeld tätig sind und sich über das Netzwerk austauschen können.

Begegnungen, die alle verändern

Hjälm und ein ehemaliger enger Berater der Erzbischöfin, der presbyterianische Pfarrer Dirk Ficca aus Chicago, der im Dezember verstorben ist, bereisten elf Länder und trafen sich dort mit 150 Ansprechpersonen unterschiedlicher Konfessionen und Berufe.  Überall, so erinnert sich Hjälm, „haben wir Menschen getroffen, die sich für transformative Begegnungen mit Geflüchteten und Migrierenden engagieren; Menschen, die praktische Lösungen für die Herausforderungen unserer Zeit anbieten.“  Das Netzwerk arbeite von „unten nach oben“, so Hjälm, und binde diejenigen ein, die „zum einen Teil die Lebenswirklichkeit der Menschen auf der Flucht hautnah erleben und zum anderen Teil den weiteren lokalen Kontext kennen, Einfluss auf Entscheider und Entscheiderinnen nehmen und die Flüchtlingspolitik mitgestalten können.“ 

Während der vergangenen fünf Jahre hat es zahlreiche Herausforderungen gegeben, nicht zuletzt der Ausbruch von COVID-19, zu dem es in Schweden nur zwei Wochen nach einer großen internationalen Konferenz des Netzwerks in Malmö im Februar 2020 kam. Alle geplanten Aktivitäten wurden zunächst ausgesetzt, während gleichzeitig die Mitglieder nach Möglichkeiten zur Unterstützung von Migrierenden und ihren Familien suchten, waren sie doch oft genug am schwersten von der Pandemie betroffen. Eine weitere internationale Veranstaltung, die für Dezember in Amsterdam geplant war, musste aufgrund neuer Rekordinfektionen mit der Omikron-Variante abgesagt werden.

Weitere Probleme, so stelle Hjälm fest, seien durch „den Aufstieg rechter Parteien in Schweden und anderen europäischen Ländern entstanden“, die auch das Kirchenvolk beeinflusst hätten. Widerstand gegen den Grundsatz, den Fremden willkommen zu heißen, ist nach Hjälms Einschätzung darauf zurückzuführen, dass Sorgen wegen fehlender wirtschaftlicher und personeller Ressourcen innerhalb der Aufnahmegemeinschaften und auch Ängste vor Extremismus bei den Ankömmlingen bestehen. „Ich höre mir diese Ängste an, versuche aber ebenfalls, sie aus einer christlichen Perspektive zu entkräften“, sagt sie. „Wir sollten nicht naiv sein und natürlich damit rechnen, dass unser Vertrauen vereinzelt missbraucht wird. Aber eines unserer Ziele besteht darin, Menschen nahezubringen, dass die Begegnung mit einer Person anderen Glaubens Einstellungen ändern kann und zu der Erkenntnis verhilft, dass die Trennlinien zwischen ‚uns und denen‘ nicht dort verlaufen, wo wir sie vermuten.“

 Magnus Aronson

Hjälm, die eigentlich im Bereich Wirtschafts- und Sozialgeographie forscht, hat drei Jahre für den Ökumenischen Rat der Kirchen in Jerusalem gearbeitet und ist danach nach Uppsala zurückgekehrt, um sich in der internationalen Abteilung der Schwedischen Kirche mit interreligiösen Fragen zu befassen. Im August wird sie in Jerusalem das Schwedische Theologische Institut leiten. Da Hjälm Uppsala verlässt und Erzbischöfin Jackelén im Herbst in den Ruhestand geht, plant „A World of Neighbours“ eine Ausrichtung, die nicht mehr ausschließlich auf die Schwedische Kirche beschränkt ist, sondern eine Übertragung auf mehrere Stakeholder vorsieht.

In der Zwischenzeit hofft Hjälm, dass so viele Menschen wie möglich an der „Week of Neighbours“-Tagung teilnehmen, die am Sonntag, 20. Februar begann. In den darauffolgenden Tagen wird der LWB gemeinsam mit seinem Partner Interdiac (Internationale Akademie für Diakonie und soziales Handeln, Mittel- und Osteuropa) zwei Seminare ausrichten und dort der Frage nachgehen, wie die lutherischen Kirchen in Europa neue Wege für die diakonische Arbeit angesichts zunehmender Diversität und wachsender Ungleichheit gehen können.

Kit sagte: „Das Thema des Gipfels erinnert uns an die Menschlichkeit all derjenigen, die mehr sein wollen als nur Geflüchtete – auch sie wollen das neue Aufnahmeland ihre Heimat nennen! Lassen wir uns inspirieren, mutig zu handeln und uns gemeinsam mit unseren Partnern unterschiedlicher Glaubensrichtungen und Kontexte von unserer Menschlichkeit leiten. Gemeinsam brauchen aus dem Glauben handelnde Menschen und diejenigen, die politische Entscheidungen treffen, neue Hoffnung und den Willen für nachhaltige zukunftsorientierte Lösungen.“

„A World of Neighbours“ ist Teil der Lenkungsgruppe der Internationalen Konferenz „Den Fremden willkommen heißen, die Zukunft gestalten“, die am 20. und 21. Juni 2022 in Genf stattfinden wird und vom Lutherischen Weltbund, Islamic Relief Worldwide und HIAS organisiert wird.

Von LWB/P. Hitchen. Deutsche Übersetzung: Detlef Höffken, Redaktion: LWB/A. Weyermüller