Eine Investition in die Zukunft

11 März 2015
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ALP-Schülerinnen und Schüler in der Napata-Primarschule, Flüchtlingslager Ajuong Thok, Südsudan. Foto: LWB/C. Kästner

ALP-Schülerinnen und Schüler in der Napata-Primarschule, Flüchtlingslager Ajuong Thok, Südsudan. Foto: LWB/C. Kästner

Was Bildung für die Flüchtlinge im Südsudan bedeutet

(LWI) – „Ich bin hier, um zu lernen“, so stellt sich der 18-jährige Mobarak Habil Ibrahim vor. Er hat auf der Flucht vor dem Konflikt in den Nuba-Bergen seine Eltern zurück gelassen. Sein vorläufiges Zuhause ist das Flüchtlingslager Ajuong Thok in Südsudan.

Mobarak weiss nicht, wann er in seine Heimat zurück kann, doch wie seine KlassenkameradInnen ist er fest entschlossen, aus seiner jetzigen Situation das Beste zu machen. „Es hat viele Probleme gegeben. In meinem Land herrscht Krieg, wir wurden von unseren Feinden angegriffen. Also sind wir hierhergekommen, um zu lernen und das zu erhalten, was wir für unsere Zukunft brauchen“, erklärt er.

Zerstörte Schulen

Der Lutherische Weltbund (LWB) ist als einzige Organisation für Bildung im Lager Ajuong Thok zuständig. Er betreibt drei Primarschulen, eine Sekundarschule, einen Kinderrechts-Club und sieben Kinderschutzzentren, eine Art Halbtagsbetreuung für Kinder verschiedener Altersstufen. Eines der Zentren wurde für die örtliche Bevölkerung eingerichtet, als diese für sich gleiche Ausbildungsmöglichkeiten wie für die Flüchtlinge forderte.

Das beschleunigte Bildungsprogramm (Accelerated Learning Program, ALP), an dem Mobarak und weitere 1 800 SchülerInnen teilnehmen, ist auf Jugendliche zugeschnitten, denen aufgrund des Konfliktes oder weil sie aus ihrer Heimat vertrieben wurden, ein Teil ihrer Primarschulbildung fehlt. Das Programm erlaubt es ihnen, aufzuholen und schliesslich zu ihren Gleichaltrigen in die Sekundarstufe zu wechseln.

Bildungsmöglichkeiten sind der Hauptgrund, weshalb Flüchtlinge vom Flüchtlingslager Yida nach Ajuong Thok umsiedeln. „Für die Bevölkerung aus Nuba ist das sehr wichtig“, erklärt LWB-Bildungskoordinatorin Annet Kiura. „Durch den Konflikt wurden die Schulen in Kordofan zerstört. Wenn die Schülerinnen und Schüler hierher kommen, sind sie sehr lernbegierig“.

Vormittags hallt der Lärm der über 2 400 Schülerinnen und Schüler in den drei Primarschulen wider, während manche Kinder ihre kleinen Geschwister in die Kinderschutzzentren bringen, wo sie mit Liedern und Spielen das Alphabet und erste Wörter auf Englisch lernen. Der Leiter der Napata-Grundschule hat eine lange Liste offener Lehrerstellen in seinem Büro. Wie die SchülerInnen kommen auch die Lehrkräfte aus Kordofan. Jetzt unterrichten sie auf Englisch und entsprechend dem vom südsudanesischen Bildungsministerium aufgestellten Lehrplan.

Neue Herausforderungen

Ein Besuch in der Soba-Sekundarschule nach Ende des Schulbetriebs: Trotz der Nachmittagshitze sind die als provisorische Klassenzimmer aufgestellten Zelte voller Jugendlicher, die bei leiser Musik lernen und Hausaufgaben machen. Ein Schüler schreibt seine Notizen aus der Naturkundestunde an die grosse Schultafel, die anderen schreiben sie sorgfältig ab.

Die SchülerInnen sitzen auf handgezimmerten Holzbänken und schreiben auf den Knien. Stille Konzentration hängt in der Luft, Neuankömmlinge setzen sich möglichst leise hin. Einziges Zeichen des Ungehorsams sind mit Filzstift auf die Zeltpläne gekritzelte Sätze wie „Das Leben ist nicht leicht“ oder „Gib niemals auf!“

Wie viele seiner KlassenkameradInnen möchte Mobarak Arzt werden. Seine Lieblingsfächer sind Naturwissenschaften und Mathematik. Andere möchten LehrerInnen, IngenieurInnen oder PilotInnen werden. „Es gab vieles, was ich zuhause in den Nuba-Bergen noch nicht wusste“, erzählt Mobarak. „Doch als ich hierher kam, habe ich viel gelernt. Hier gibt es Krankenhäuser und Sekundarschulen. Hier ist alles gut.“

Seitdem sich der Konflikt in den Nuba-Bergen zugespitzt hat, ist die Zahl der Flüchtlinge in Ajuong Thok gestiegen. Das ursprünglich für 10 000 Flüchtlinge eingerichtete Lager zählte Mitte Februar 21 000 EinwohnerInnen. Jede Woche kommen 1 000 neue Flüchtlinge hinzu. Laut Schätzungen des UNHCR werden Ende 2015 etwa 40 000 Menschen hier leben, die Hälfte davon Kinder, 43% im Schulalter.

Etwas bewegen

Es ist am LWB, eine Lösung für diese Herausforderung zu finden. Bereits jetzt sind die Klassenzimmer mit einer Lehrkraft für 70 bis 100 SchülerInnen überfüllt. „Wir brauchen mindestens doppelt so viele Primarschulen und noch eine Sekundarschule“, erläutert die LWB-Teamleiterin in Ajuong Thok, Anne Mwaura. Die entsprechenden Fördermittel hingegen sind nur schwer zu bekommen.

Aufgrund der schwierigen Sicherheitslage in Südsudan muss alles teuer auf dem Luftweg eingeflogen werden, wodurch die Betriebskosten explodiert sind. Die LKWs, die letztes Frühjahr Schulbänke, Bücher und Spielsachen für die Kinderschutzzentren liefern sollten, sind während der Regenzeit stecken geblieben und müssen nun mühsam die Checkpoints der verschiedenen Konfliktparteien hinter sich bringen.

Trotzdem geht der Unterricht weiter, sogar während der Ferien. „Die Schule hilft auch, die Kinder vor Gefahren zu schützen“, erklärt Mwaura. „Sie beschäftigt die Jugendlichen und bewahrt Mädchen davor, früh schwanger zu werden und Jungen vor Zwangsarbeit und der Rekrutierung in eine der Milizen.“

Malachi Farouk Aballah, Direktor des ALP, hofft, dass er hier die neue Generation für sein Land erzieht. „Das Wissen, was sie hier erwerben, ist sehr wichtig für die Jugendlichen“, sagt er. Anders als der spärliche Besitz vieler Flüchtlinge sei eine gute Schulbildung etwas, was die Jugendlichen anhäufen und überallhin mitnehmen könnten. „Wenn sie einen Abschluss haben, können sie einen guten Arbeitsplatz finden. Vielleicht werden einige als Lehrer ihre Heimat wiederaufbauen.“

LWF / C. Kästner